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Kreatives Schreiben im Lehren und Lernen -...

Date post: 17-Sep-2018
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Projekt Síť vzdělavatelů učitelů cizích jazyků NEFLT registrační číslo CZ.1.07/2.4.00/31.0074 ___________________________________________________________________________ Kreatives Schreiben im Lehren und Lernen des Deutschen als Fremdsprache Pavla Zajícová 2014
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Projekt Síť vzdělavatelů učitelů cizích jazyků NEFLT

registrační číslo CZ.1.07/2.4.00/31.0074 ___________________________________________________________________________

Kreatives Schreiben

im Lehren und Lernen des Deutschen als Fremdsprache

Pavla Zajícová

2014

(95) Kreatives Schreiben im Lehren und Lernen der Fremdsprache Deutsch – Pavla Zajícová

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© Pavla Zajícová

(95) Kreatives Schreiben im Lehren und Lernen der Fremdsprache Deutsch – Pavla Zajícová

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Inhalt Einleitung 5 1. Lockerung und Einstimmung 7

Atemübung 7 Autogenes Training 8 Verjüngungskur 10 Ich bin der Mond 10 Mein Gegenstand 11 Mandala 11 Serieller Text 12 Phantasiereise 13

Name-Sache-Jahreszahl (Écriture automatique) 14 Perspektiven I und II 15 Was-ich-mag/nicht-mag-Alphabet 16 Ich-Akrostichon 16 Assoziogramm 17 Ein-Satz-Gedanke 17 Meine Biographie in fünf Sätzen 17 Selbstporträt à la Apollinaire 18 Parlando 18 Reih-um-Text 19 Kleine Narrationen (Blitzlicht) 19 Was der Mensch so braucht 20

2. Kleine Formen 22

Figuren und Tropen 22 Dimensionsloser und freier Vers 25 Piktogramme 27 Typogramme 28 Ideogramme 29 Stufengedicht/Wachsgedicht 30 Akustisches Gedicht 30 Konstellationen 31 Anagramme 31 Akrostichen 32 Elfchen 33 Schneeball 34 Paradigmatische Experimente 34 Haiku & Senryu & Kettengedicht 37 Schlagertexte 45 Poetische Texte 46

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3. Schreiben einer Kurzgeschichte 53 Einige Regeln 53 Titel & Anfang & Schluss 63 Aufbau und Komplikation 64

4. Gebrauchstexte 75

Werbetext 75 Alltagspoesie & Gefundene Poesie 76 Kommentar 77 Interview 78

5. Projekte 80

Tagebuchschreiben 80 Lesung 81 Texte unterwegs 82 Anthologie 83 Ausstellung 83 Auswertung 84

Literatur 85 Anlagen 88 Groß- und Kleinschreibung & Interpunktion 88 Sechs Übersetzungen 88 Drei Kettengedichte 92 Zwei Kurzgeschichten 94 Erklärung Alle übernommenen Texte und Bilder sind ausschließlich zur Veranschaulichung im Unter-richt bestimmt.

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Einleitung

Cui bono? Wem zum Vorteil? Dieser Studientext ist für diejenigen Lehrenden, Lernenden und Studierenden des Deutschen als Fremdsprache bestimmt, die gern das Schreiben anleiten, die gern schreiben und die schreiben wollen – weil sie wissen:

- dass man mittels Schreiben über sich selbst, über andere Menschen und über die Welt nachdenken kann;

- dass man mittels Schreiben mannigfaltige Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks und der Textgestaltung kennenlernen, nachvollziehen und spielerisch ausprobieren kann.

Was kann man mithilfe dieses Skriptums lernen? Das Skriptum beinhaltet ein breites Spektrum an Schreibaufgaben mit Textmodellen und deren Aufbauprinzipien, mit Anleitungen, Aufgaben und Beispielen. Danach werden Texte geschrieben und mit Texten der Kommilitonen verglichen. Die Schreibkompetenz sowohl der Anfänger als auch der Fortgeschrittenen kann mithilfe dieses Skriptums langfristig, in einer kleinschrittig gestalteten Progression der graphischen, phonologischen, lexikalischen, morphologischen, syntaktischen, stilistischen und textstrukturellen Vorgaben und Regeln unterstützt werden. Welches Schreiben ist kreativ? Jedes Schreiben kann kreativ sein. Auch in der Schrifteinübung, im Abschreiben oder Diktatschreiben kann die species Mensch ihr Wesensmerkmal Kreativität realisieren. Deshalb verstehen wir ein solches Schreiben im Unterricht DaF als kreativ, in dem die Lernenden ihre eigenen inhaltlichen, formbezogenen, graphischen bzw. ästhetischen Vorstellungen zum Ausdruck bringen.

Wir gehen davon aus, dass die Verfahren und Orientierungsprinzipien des kreativen Schreibens sowohl im literarischen und publizistischen als auch im wissenschaftlichen Schreiben oder im Schreiben von Gebrauchstexten zur Geltung gebracht werden können. Wie soll man mit diesem Skriptum arbeiten? Außer der Einleitung und den Anlagen beinhaltet das Skriptum fünf Kapitel.

Im Kapitel 1 befindet sich ein kleines Repertoire der Lockerungs- und Einstimmungs-verfahren für die Eröffnung der Veranstaltungen zum Kreativen Schreiben.

Die Kapitel 2–5 sind den so genannten kleinen Formen, weiter der Kurzgeschichte, dem Gebrauchstext und der Projektgestaltung gewidmet.

Sowohl die Reihenfolge der Kapitel und Aufgaben als auch das Verhältnis zwischen der Arbeit im Unterricht, dem selbständigem Studium und den Hausaufgaben können frei gewählt und variiert werden. Die Komplexität der Aufgaben steigert sich zwar von Kapitel 2 bis 5, auf der anderen Seite kann man zum Beispiel mit der Projektplanung (Kapitel 5) anfangen und weitere Schritte nach Bedürfnissen und Wünschen der Studierenden planen und realisieren.

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Im Wintersemester 2013 haben wir folgende Vorgehensweise gewählt:1 - Reflexion der Ziele der Teilnehmer. - Semesterplanung. - Bekanntmachung mit dem Skriptum (Inhalt, Struktur, Anlagen, Glossar). - Projektvorbereitung (Kapitel 5) mit dem Projektziel: Lesung von Kurzgeschichten in

der letzten Semestersitzung. Materialien und Informationen zum Schreiben einer Kurzgeschichte samt Analyse und Reflexion (Kapitel 3). Entwurf des narrativen Konflikts im Brainstorming und anschließende Reflexion.

- Fokus auf ausgewählte Teile und Aufgaben in den Kapiteln 2 und 4. Ich wünsche Ihnen viel Spaß am Schreiben und viele interessante Schreiberfahrungen! Ostrava, im Winter 2013/2014

Pavla Zajícová Lehrstuhl für Germanistik

Philosophische Fakultät der Universität Ostrava Reální 5

70103 Ostrava [email protected]

1 Dieses Skriptum wurde parallel mit der Arbeit im Seminar Kreatives Schreiben im Wintersemester 2013 aus

Vorgaben und Ergebnissen dieses Seminars in den Jahren 1995–2012 verfasst.

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1. Lockerung und Einstimmung Am Anfang einer jeden Veranstaltung zum kreativen Schreiben sollten die Teilnehmer in einer kurzen Sequenz die Gelegenheit bekommen, zur Ruhe zu kommen, zu entspannen und sich für die Generierung der Assoziationen und Gedanken zu sensibilisieren.

Im ersten Kapitel finden Sie Beispiele dazu – einfache Lockerungsübungen, mehrere autosuggestive Zugänge zum Wohlbefinden und spielerische assoziative Verfahren. Lockerung und Einstimmung – 20 Übungen Führen Sie am Anfang einer jeden Veranstaltung eine der folgenden 20 Lockerungsübungen aus.

Atemübung – Autogenes Training – Verjüngungskur – Ich bin der Mond – Mein Gegenstand – Mandala-Text – Serieller Text – Phantasiereise – Name-Sache-Jahrszahl – Perspektiven – Was-ich-mag/nicht-mag-Alphabet – Ich-Akrostichon – Assoziogramm – Ein-Satz-Gedanke – Meine Biographie in fünf Sätzen – Selbstporträt À la Apollinaire – Parlando – Reih-um-Text –

Kleine Narrationen – Was der Mensch so braucht

Diskutieren Sie kurz über ihre Wirkung. Schlagen Sie Modifikationen und Alternativen vor. In diesen und in vielen anderen Initiationsübungen können Sie mannigfaltige mentale und schreibtechnische Strategien benutzen, in denen es auf der einen Seite um die freie Assoziierung von Motiven geht und zugleich um die ersten einfachen Anordnungen und Strukturierungen der Assoziationen im Ausdruck, in der Darstellung, im Appell.

Die ausdruckbezogenen Verfahren stehen für die Innerlichkeit des Schreibers. Sie fangen beim Brainstorming und dem automatischen Schreiben an und reichen über das Assoziogramm, Cluster, Mind Map, die aktive Imagination und Meditation zum Inneren Monolog.

In den darstellungsbezogenen Verfahren wird die Außenwelt fokussiert. Beobachtet und festgehalten werden sinnliche Wahrnehmungen (Farben, Klänge, Gerüche), Chronologien und lokale Anordnungen (Szenen), deduktive Bezüge (von Prinzipien zu Erscheinungen) und induktive Bezüge (von Erscheinungen zu Schlussfolgerungen), Widersprüche oder Zusammenhänge von Tatsachen, Wertungen, Gefühlen.

Die appellartigen Verfahren sind partnerbezogen. Sie umfassen Fragen, Bitten, Einladungen, Angebote, Warnungen, Verbote, Einwände, Proteste, argumentative Streitgespräche, Konfliktdarstellungen samt Suche nach Lösungswegen.

ATEMÜBUNG

Der siegreiche Atem 1) Setzen sie sich aufrecht hin, berühren Sie mit dem Rücken die Stuhllehne und entspannen Sie den Körper. Legen Sie eine Hand auf den Bauch und atmen Sie ein paar Mal tief in den Bauch ein, so dass Sie die Bewegung der Hand spüren. Mit der Einatmung wölbt sich der Bauch nach oben, mit der Ausatmung entspannen Sie sich ganz. Atmen Sie im eigenen Rhythmus ein und aus, entspannen Sie.

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2) Die Einatmung kommt jetzt von oben durch die Nase nicht nur in den Bauch, sondern auch in den Brustkorb. Die Ausatmung kommt von unten aus dem Bauch, nach oben, in den Hals und in die Nase. Die Einatmung in den Brustkorb, die Ausatmung aus dem Bauch nach oben. Atmen Sie ein und aus. 3) Jetzt erzeugen Sie ein Geräusch. Mit der Ausatmung tun Sie so, als ob Sie durch die Nase ein Glas anhauchen würden. Das ist das Geräusch. Mit diesem Geräusch atmen Sie ein und aus. Bleiben Sie bei diesem Geräusch des siegreichen Atems beim Einatmen und Ausatmen.

Nach www.focus.de/gesundheit/gesundleben/yogaimbuero.

AUTOGENES TRAINING

Diese einfache Entpannungstechnik gründet auf der Autosuggestion. Die einzelnen Schritte des autogenen Trainings zielen hin auf die Entspannung von innen heraus, deshalb werden sie in der Ich-Form beschrieben. Die Anleitung kann jedoch auch vom Trainer gesprochen bzw. nach Gefühl und Bedürfnis modifiziert werden. Bei späteren Wiederholungen sollte jedoch der gleiche vereinbarte Wortlaut benutzt werden.

Die wichtigsten Phasen des autogenen Trainings sind die der Ruhe, der Schwere, der Wärme, des Atmens und des Zurücknehmens.

Am Anfang wird eine bequeme Körperhaltung eingenommen. Die Augen werden geschlossen. Es folgen Aufgabensätze, die langsam und ruhig gesprochen und mehrmals wiederholt werden. Die Aufgabensätze lauten (vereinfacht):

- Ich bin ganz ruhig. - Mein rechter Arm ist schwer. – Mein linker Arm ist schwer. – Mein rechtes Bein ist

schwer. – Mein linkes Bein ist schwer. – Beide Arme sind ganz schwer. – Beide Beine sind ganz schwer. – Mein Körper ist ganz schwer.

- Mein rechter Arm ist warm. – Mein linker Arm ist warm. – Mein rechtes Bein ist warm. – Mein linkes Bein ist warm. – Beide Arme und beide Beine sind ganz schwer und ganz warm. Mein Körper ist ganz schwer und ganz warm.

- Meine Atmung ist ruhig und gleichmäßig. - . . . - Ich gehe zurück. Ich atme aus, balle die Fäuste und mache eine Pause. Ich atme tief

ein und aus. Ich öffne langsam die Augen. Auch der letzte Vorgang wird mehrmals wiederholt.

Sie können auch andere Aufgabensätze ausprobieren, nach denen Sie gefühlsmäßig den ganzen Körper durchgehen und ihn mit leichten Bewegungen lockern und entspannen. - Meine Füße – sind sie kalt, warm, feucht oder trocken? Sind sie locker? - Meine Beine – sind sie locker und kraftvoll? - Meine Knie – sind sie locker? - Meine Hüften – sind sie entspannt? Fühlen sich die beiden Seiten gleich an? - Mein Magen – ist er entspannt? - Mein Brustkorb – fließt der Atem leicht ein und aus? - Mein Rücken – kann ich alle Spannungen entfernen?

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- Meine Hände – sind sie kalt, warm, feucht, trocken? Sind sie locker? - Meine Arme – sind sie locker und kraftvoll? - Meine Schultern – sind sie frei beweglich? - Mein Nacken – ist er entspannt? - Mein Hinterkopf – kann ich alle Spannungen entfernen? - Mein Kiefer – ist er frei? - Mein Atem – fließt er frei durch die Nase? - Mein Gehirn – gibt es viele Gedanken drin? Kann ich sie wegschütteln? - Mein Kopf – fühlt er sich warm oder kalt an? Ist er frei? - Mein ganzer Körper – wie fühlt er sich an? Wie fühle ich mich? Frei, zufrieden, ruhig,

locker, energievoll? Oder Sie versuchen, den Körper langsam zu entspannen, indem Sie die einzelnen Körperteile zuerst anspannen, die Spannung kurz halten und anschließend lösen. - Ich spanne meinen rechten Fuß an und beuge ihn leicht nach vorne. Ich halte die

Spannung kurz und entspanne wieder. - Ich spanne die rechte Wade an und ziehe den Fuß leicht nach oben. Beim nächsten

Ausatmen entspanne ich wieder. - Ich spanne nun den rechten Oberschenkel an. Beim nächsten Ausatmen lasse ich ihn

wieder los. - Ich komme nun zum linken Bein... - Ich spanne nun die Gesäßmuskulatur an. Spüre ich die Anspannung? Nun wieder

entspannen. - Ich komme zu den Armen. Ich spanne meine rechte Hand an und mache eine Faust.

Spüre ich die Anspannung? Beim Ausatmen lasse ich wieder los. - Ich spanne nun meinen rechten Arm an und winkle ihn leicht an. Fühle ich die

Anspannung? Ich halte die Spannung kurz und entspanne wieder. - Ich komme nun zum linken Arm... - Ich spanne jetzt den Rücken an und schiebe den Bauch kräftig nach vorne. Fühle ich,

wie sich die Rückenmuskeln anspannen? Beim nächsten Ausatmen lasse ich wieder los.

- Ich komme zum Bauch. Ich spanne die Bauchmuskeln an. Spüre ich die Anspannung? Nun entspanne ich wieder.

- Ich spanne die Nackenmuskeln an und ziehe die Schultern nach oben. Fühle ich die Anspannung? Ich lasse wieder los.

- Ich komme nun zum Gesicht. Ich spanne die Stirn an, indem ich die Augenbrauen leicht nach oben ziehe. Ich lasse die Anspannung kurz wirken. Mit dem Ausatmen entspanne ich wieder.

- Ich spanne jetzt die Augen an, indem ich sie leicht zusammendrücke. Spüre ich die Anspannung? Beim Ausatmen lasse ich die Augenmuskeln locker werden.

- Ich presse leicht die Zähne zusammen. Ich halte die Spannung kurz. Ich entspanne wieder.

- Ich presse die Zunge leicht an den Gaumen. Ich halte die Spannung kurz. Ich entspanne wieder.

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- Ich bewege den Kopf leicht nach vorn. Ich bringe das Kinn in Richtung Brust. Spüre ich die Anspannung? Beim nächsten Ausatmen entspanne ich wieder.

- Ich komme nun aus der Entspannung zurück. Ich strecke mich – wie morgens beim Aufstehen. Ich atme tief ein und aus. Ich öffne die Augen.

- Ich bin ganz frisch.

VERJÜNGUNGSKUR

Die Teilnehmenden stehen im Kreis und halten sich an den Händen. Anleiterin/Anleiter bittet alle, dass sie sich an einen Moment der Zufriedenheit bzw. des Glücks erinnern und diesen Moment kurz beschreiben.

Die Teilnehmenden bekommen ca. eine halbe Minute Zeit für eine kurze Überlegung. Mit geschlossenen Augen sprechen sie dann reihum ihre Assoziationen aus und geben

anschließend dem Nachbarn mit Handdruck zu erkennen, dass er jetzt dran ist. Wenn der erste Sprecher vom letzten Handdruck erreicht wird, werden die Augen geöffnet. Es folgen drei Beispiele von Assoziationen:

- „Es ist Sonntag. Die Mutter ruft: ´Das Mittagessen ist fertig. Es gibt Schnitzel.´“ - „Sommer. Ich mit Eva im Schwimmbad. Wir plaudern, baden, liegen in der Sonne,

essen Eis.“ - „Ich komme aus der Schule zurück. Ich schließe die Tür auf und, während ich den

Schlüssel umdrehe, erkenne ich, dass niemand zu Hause ist.“

Die Ideen können schriftlich festgehalten werden. Am Arbeitstisch zurück schreibt jeder seine Assoziation auf einen farbigen Zettel. Ein Poster zum Thema GLÜCK UND ZUFRIEDENHEIT wird zusammengestellt und ausgehängt. Während der schriftlichen Ausarbeitung hilft die Lehrerin/der Lehrer bei der Fehlerkorrektur und bei der graphischen Gestaltung der Zettel.

ICH BIN DER MOND

Die Übung gründet auf der Assoziation bzw. auf der Verknüpfung von Bewusstseinsinhalten. Alle Teilnehmer (TN) sitzen im Kreis (siehe die schematische Zeichnung auf der nächsten

Seite). Der beginnende TN hat zu seiner linken und zu seiner rechten Hand jeweils einen Stuhl frei. Er fängt an: „Ich bin der Mond (M). Wer passt zu mir?“ Zwei TN, die am schnellsten ihre Assoziation aussprechen („ich bin die Nacht; ich bin Neil Armstrong“), besetzen die freien Stühle neben dem Mond. „Der Mond“ legt seinen Arm auf die Schulter von einem seiner zwei neuen Nachbarn und sagt zum Beispiel: „Ich nehme die Nacht.“ Beide gehen zurück in den Kreis. „Neil Armstrong“ setzt sich in die Mitte und setzt fort: „Ich bin Neil Armstrong. Wer passt zu mir?“

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M

Im Anschluss an die Übung sollten Motivationen für schwer durchschaubare Assoziationen erklärt werden.

MEIN GEGENSTAND

Denken Sie an einen einfachen Gegenstand aus dem Alltag – einen Gegenstand, der sich in Ihrer unmittelbaren Nähe befindet und den Sie täglich brauchen und gebrauchen. Stellen Sie den Gegenstand kurz vor. In Ihrer Vorstellung können Sie von einigen der folgenden Denkrichtungen ausgehen: - Was ist es? - Wie sieht der Gegenstand aus? Welche Farben hat er, welche interessanten Details? - Wie sind Sie zu dem Gegenstand gekommen? - Wie lange befindet er sich in Ihrer Welt? - Wozu dient er Ihnen? Was bringt er Ihnen? - Welche Bedeutung hat er für Sie? - Wie wäre es, wenn Sie ihn vergrößern? - Wie wäre es, wenn Sie ihn verkleinern? - Wie wäre es, wenn Sie ihn verlieren?

MANDALA

Das Mandala (magischer Kreis) ist ein kreisförmiges, auf den Mittelpunkt orientiertes Schaubild, das in vielen Kulturen als Symbol der Ganzheit, Vollständigkeit und Geschlossenheit und als Meditationsobjekt wahrgenommen wird.

Nach Carl Gustav Jung repräsentiert das Mandala die Darstellung eines Archetypus – ein kollektives inneres Urbild, das mithilfe der aktiver Imagination ausgefüllt wird, wenn ein konkreter Gedanke schwer zu finden und schwer in Worte zu fassen ist. Durch das Zeichnen

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des Mandalas kann versucht werden, in die Bereiche des Unbewussten einzutauchen und Assoziationen zu eigenen Lebensmotiven, Erinnerungen und Wunschvorstellungen entstehen zu lassen. Jeder Teilnehmende zeichnet auf die ganze Fläche eines A3-Blattes einen Kreis und zieht ihn mehrmals nach.

In den nächsten drei Minuten wird in diesem Kreis frei gekritzelt – zum Beispiel wie das manchmal gedankenlos und selbstvergessen während eines Telefongesprächs gemacht wird.

In der nächsten Phase werden zwischen die Kritzeleien ein paar Wörter geschrieben. Anschließend wird versucht, mithilfe dieser Wörter einen Satz oder einen kurzen Text zu

gestalten.

SERIELLER TEXT

Ein Motiv wird explizit oder implizit (eliptisch) als Satz- oder Absatzanfang wiederholt aufgenommen. Beispiel:

Warten auf dich Wenn ich auf dich warte, frage ich mich, wieso du noch nicht hier bist. Mensch, wo steckst du so lange? Wenn ich auf dich warte, kann ich nichts Vernünftiges machen. Es lohnt sich nicht anzufangen. Wenn ich auf dich warte, lege ich mein Handy auf den Tisch. Für den Fall, du rufst mich an. Wenn ich auf dich warte, schaue ich oft auf die Uhr. Wie spät ist es schon? Wenn ich auf dich warte, bin ich ungeduldig. Wann kommst du? Wenn ich auf dich warte, schreibe ich über das Warten auf dich.

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PHANTASIEREISE

Die Phantasiereise hat drei Phasen. 1) In der Entspannungsphase schließen die Teilnehmer die Augen und konzentrieren sich auf den eigenen Atem. Sie atmen ruhig und regelmäßig aus und ein und lassen die Gedanken entschwinden und davonziehen. 2) Auch während der eigentlichen Phantasiereise bleiben die Augen geschlossen. Der Anleiter erzählt eine Geschichte – zum Beispiel von einem Spaziergang durch den Wald, von einer Luftballonfahrt, von einer Bergwanderung, von einer Reise ans Meer, von einem Bummel durch die Stadt. Was sehen dort die Teilnehmer? Was hören Sie? Was spüren Sie? Was stellen Sie sich vor? Was gefällt Ihnen? Was überrascht Sie? Was macht Sie stutzig? Wem begegnen Sie? Was tun sie? 3) Um in die Realität zurückzukommen, werden die Hände zu Fäusten geballt, die Teilnehmer werden angeregt, tief durchzuatmen und sich zu recken und strecken. Sie öffnen die Augen und schauen sich in dem Raum um, in dem Sie sich befinden.

Anschleißend schreiben sie einen kurzen Text, in dem sie ihre wichtigsten Eindrücke festhalten – zum Beispiel was sie in ihrer Vorstellung gesehen und gedacht haben.

Die verbale Begleitung wird langsam gesprochen. Es folgt ein Beispiel:

Du machst es dir bequem. – Du fühlst deinen ganzen Körper. – Du bist ganz ruhig. – Deine Füße und deine Beine sind ganz locker. – Deine Arme sind ganz locker. – Dein Nacken und deine beiden Schultern sind ganz locker. – Dein ganzer Körper ist angenehm warm. Du atmest ruhig und gleichmäßig – so, wie es für dich angenehm ist. – Dein Gesicht ist ganz entspannt und locker. – Dein Kopf ist leicht und frei.

Du befindest dich in einem Luftbalon und schaust von oben auf die Welt. Unter dir ist der Ozean und die Erde. Blaue Meere, Buchten, Strände, Häfen, bunte Länder, große Städte, kleine Dörfer, Wälder, Wiesen.

Direkt unter dir siehst du gerade ein großes Haus. Was für ein interessantes Gebäude? Jeder kann reinkommen, sich hinsetzen, sich hinlegen, hier verweilen. Was kommt hier auf dich zu?

Das Haus steht inmitten eines Gartens. Der Garten ist groß, bunt, unübersichtlich, unberechenbar, wie die Welt selbst. Du entscheidest dich jetzt. Bleibst du im Haus oder gehst du in den Garten? Warum?

Was siehst du dort? Was findest du dort? Wen triffst du? Was machst du? Worüber freust du dich? Wovon träumst du? Was willst du hier erreichen?

Wie geht es dir? Du atmest tief und regelmäßig. Du spürst wieder deinen Körper. Du reckst die Arme, du streckst und räkelst dich wie eine große Katze. Du öffnest langsam die Augen. Du befindest dich im Raum D 23. Um dich herum sitzen deine Kollegen. Vor dir auf dem Tisch ist ein Stift und ein Papier. Und du schreibst jetzt zehn Minuten lang, was du in der Phantasiereise erlebt hast.

Weitere Phantasiereise-Texte zum Beispiel auf den Webseiten

http://www.meditationsleiter.de/meditationen-anleitung-empfehlung/download-phantasiereisen/, http://www.planetsenior.de/phantasiereisen_sammlung/.

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NAME-SACHE-JAHRESZAHL

Die Teilnehmenden bilden im Optimalfall Vierergruppen. Der Anleiter bittet sie darum, dass sie auf einen Zettel – möglichst schnell, ohne länger zu überlegen – drei Begriffe notieren: einen Namen, eine Sache und eine Jahreszahl. In der Gruppe tauschen sie sich über ihre Begriffe aus und erklären sehr kurz ihre Nennungen. In der Gruppe wird schnell bestimmt (Vorschlag und Abstimmung), zu welcher der drei Nennungen die Autorin/der Autor der Nennung einen kurzen Text schreiben soll. Die Texte werden im Plenum vorgelesen. Écriture automatique In der ersten Schreibphase kann das Verfahren des automatischen Schreibens – die Écriture automatique – ausgenutzt werden. Alle schreiben etwa 5–10 Minuten lang alles auf, was ihnen zu dem gegebenen Stimulus einfällt. Alle anderen Regeln sind außer Notwendigkeit gesetzt. Man darf Fehler machen, man darf in die Muttersprache oder in eine dritte Sprache übergehen. Wichtig ist, dass man nicht aus dem Schreibfluss gerät. Der Stift soll in Kontakt mit Papier und in Bewegung bleiben. Wenn die Gedanken stocken, wird die Schreibmotorik

zum Beispiel mit llllllllllllllllllllllllllll so lange fortgesetzt, bis wieder ein Gedanke kommt. Nach Hornung 1996, 228.

Der automatische Text bietet die Ausgangsbasis für die anschließende Auswahl der Motive, für die Gestaltung eines kurzen Textes und für die Formulierung der Überschrift. Es folgen zwei Beispieltexte:

Das Radio Das Radio ist ein kleines Ding, das Töne produziert. Manchmal kann es auch stören. Zum Beispiel wenn man müde ist. Im Radio kann man verschiedene Gespräche, Nachrichten, Meinungen der Menschen und auch Musik hören. Ich meine, dass es eine nutzbringende Sache ist. Ereignis des Jahres 1990 ist das Jahr, in dem ich geboren wurde. Meine Eltern waren so glücklich. Ich war ihre erste Tochter. Die Geburt eines Kindes ist, glaube ich, ein wunderschönes Ereignis in der Famile.

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PERSPEKTIVEN I

Aus welcher Perspektive ist der folgende Text geschrieben?

1 5 10 15 20

REKLAME Ingeborg Bachmann (1926–1973)

wohin aber gehen wir ohne sorge sei ohne sorge

wenn es dunkel und wenn es kalt wird sei ohne sorge

aber mit musik

was sollen wir tun heiter und mit musik

und denken heiter

angesichts eines Endes mit musik

und wohin tragen wir am besten

unsre Fragen und den Schauer aller Jahre in die Traumwäscherei ohne sorge sei ohne sorge

was aber geschieht am besten

wenn Todesstille

eintritt

PERSPEKTIVEN II

Wählen Sie einen Gegenstand, ein Möbelstück, ein Gebäude, ein Lebensmittel, ein Wort, eine Märchengestalt – und schreiben Sie aus deren Perspektive einen kurzen Text in der Ich-Form. Es folgen drei Beispieltexte.

Ich, der stolze Nokia Vor wenigen Tagen wusste ich noch nicht, bei wem ich lande. Und ich konnte hoffen. Vielleicht werde ich von einem erfolgreichen Unternehmer gekauft, oder von einem cleveren Studenten. Aus meinen schönen Träumen wurde allerdings nichts. Die Frau, die mich gekauft hat, hat offensichtlich keine Ahnung von meinen Ambitionen. Sie vernachlässigt mich regelrecht. In ihrem Arbeitszimmer hält sie sich kaum auf, sie nimmt mich nicht mit, sie lässt mich ewig herumliegen, sie schaltet mich ständig ab, einfach – sie ist für mich nicht da. Sie bekommt kaum Anrufe und selber ruft sie nur dieselben zwei Nummern an. So muss ich rund um die Uhr leiden. Ich liege brach, ich bin zum Faulenzen, zur Langenweile verurteilt. Ich – der stolze Nokia, der die Welt erobern wollte.

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Mein armes Ameisensein Junge Menschen sind mir sympathisch. Sie führen Gespräche, spielen Gitarre, singen. Schade, dass sie mich und meine Freundinnen nicht mögen. Es macht mir Spaß, mit ihnen am Feuer zu sitzen, in der Nacht zu schauen, wie ihre Zigaretten leuchten, mit ihnen im Zelt zu schlafen, ihr Blut zu kosten. Die Ferien mit ihnen zu genießen. Mitzuerleben, dass das Leben auch ohne Arbeit schön sein kann. Vielleicht denken alle meine Freundinnen nicht so wie ich, aber ich kann das emsige Ameisenleben einfach nicht mehr ertragen. Von früh bis spät nur arbeiten und arbeiten, die langen Waldwege entlang laufen, Nadeln und Blätter hin und her schleppen, den Haufen ausbauen, als ob er nicht schon längst groß genug wäre, sich vermehren und vermehren – aber wozu? Es gibt auch andere Welten – mit Gitarre, Gesang, Philosophieren. Ich, die arme Ameise, wie gern wäre ich ein Mensch...

Aus meinem Tagebuch 3:40. Schon wieder der Alte. Was will er um diese Zeit? Speck? Wurst? Gurken? Bier? 3:50. Der Alte ist fort. Er hat die Wurst aufgegessen und dazu Bier getrunken. Wie immer. Jetzt kann ich endlich schlafen. 6:00 Der Wecker klingelt. Die Alte kommt. Sie sieht sofort, das die Wurst weg ist. Sie schimpft. Sie nimmt Milch, Butter, Eier und Käse heraus. Jetzt bin ich fast leer. Bin neugierig, was sie am Nachmittag einkauft. Nur keine Quargeln, bitte. 6:30. Jetzt kommt die Junge. Sie sucht ihren Jogurt. Sie weiß noch nicht, das er schon gestern im Magen des Jungen verschwunden ist. Sie knallt die Tür zu. Das tut weh! Du Böse, Böse! 7:00. Die Familie ist weg. Bis 15:00 Uhr habe ich Ruhe. Ich kann mich endlich meinem Freund widmen. Sie wissen nicht, wer das ist? Doch – der Gefrierschrank.

WAS-ICH-MAG/NICHT-MAG-ALPHABET

Die einzelnen Buchstaben des Alphabets werden untereinander aufgeschrieben als Anfangsbuchstaben einer Liste. Aus jedem Buchstaben wird ein Wort gebildet.

Nach Merkelbach 1995.

ICH-AKROSTICHON

Mithilfe des Wörterbuchs versuchen Sie, solche Wörter mit den Anfangsbuchstaben Ihres Vornamens oder des Ihres Kommilitonen zu finden, die zu Ihrer/seiner Persönlichkeit passen. Die Buchstaben können Einzelwörter oder Satzsegmente repräsentieren. Beispiel:

Marie Mittelgroß Attraktiv Ruhig Intelligent Energisch

Marie Mag Tomaten und Gurken Aber keinen Paprika Regt sich nie auf Ist absolut verlässlich Erfinderisch, einfallsreich, einfach kreativ

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ASSOZIOGRAMM (auch CLUSTER, MIND MAP)

Zu einem bestimmten Stichwort werden zuerst im Plenum, später in Paar- und Einzelarbeit Assoziogramme erstellt. Die Assoziationen können nach Wortarten und nach inhaltlichen Richtungen sortiert werden. Die inhaltlichen Richtungen stellen die ersten Anhaltspunkte für den Enwurf der Textstruktur dar.

EIN-SATZ-GEDANKE

Schreiben Sie einen einfachen Satz auf. Erweitern Sie Ihren Satz zu einem beliebig langen Text, der jedoch ständig nur aus einem einzigen Satz besteht. Beispiel:

Wie wird der kommende Tag sein? Immer wenn ich am frühen Morgen aufstehe, sehe ich aus dem Fenster und frage mich, wie der kommende Tag sein wird, ob ich es am Abend bereue, am Morgen aufgestanden zu sein, oder ob ich mich wohl fühle und mich mit einem Gefühl der Erfüllung zum Schlaf hinlege und die Stunden der verdienten Erholung genieße.

Nach Merkelbach 1995.

MEINE BIOGRAPHIE IN FÜNF SÄTZEN

Gestalten Sie Ihre Autobiographie, die nur aus fünf Sätzen besteht. Wählen Sie solche fünf Momente, Situationen oder Ereignisse Ihres Lebes aus, die für Sie von prägender Bedeutung sind. Es folgt ein Beispiel.

Meine Biographie in fünf Sätzen - Als ich sechs Jahre alt war, durfte ich mir einen Bruder oder eine Schwester

wünschen. Ich wünschte mir eine Schwester und bekam sie auch. - In der dritten Klasse verliebte ich mich zum ersten Mal. Er hatte dunkles Haar und

hieß Vladimír. - Als ich 15 war, kauften mir meine Eltern eine Gitarre – wohl als Entschädigung für

zehn Jahre Klavierunterricht. - Am Gymnasium schwänzten wir mit Mirka und Martina oft die Schule. Dafür

bekamen wir dann eine zwei für „Verhalten“. - Ich lernte nie richtig Ski fahren, weil ich immer Angst vor Geschwindigkeit hatte.

Dafür schwimme ich sehr gern.

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SELBSTPORTRÄT À LA APOLLINAIRE

Guillaume Apollinaire (1880–1918) zählt zu den Begründern der modernen französischen Poesie un zu den bedeutendsten Lyrikern der Weltliteratur. Lassen Sie sich von einem seiner Selbstporträts inspirieren.

http://cs.wikipedia.org/wiki/Guillaume_Apollinaire

PARLANDO

Parlando wird als eine Eigenschaft von Texten der Jugendlichen charakterisiert. Die Parlando-Texte zeichnen sich durch folgende Merkmale aus: - Einfache Wortwahl, Syntax und Textstruktur, Verständlichkeit. - Assoziative Verknüpfung. - Direkte Ansprache des Adressaten. - Bezug auf eigene Erlebnisse und Erfahrungen. - Metakommunikative Thematisierungen.

Ausgehend von einem Impulswort werden in Paararbeit Parlando-Texte gestaltet. Ein identisches Impulswort kann wird jeweils von zwei Paaren ausgenutzt.

Es werden Doppelpaare und Paare gebildet. Bei ungerader Schüleranzahl beteiligt sich der Lehrer an der Arbeit. Beispiele: - 10 Schüler = 2 Doppelpaare + 1 Paar. 11 Schüler = 3 Doppelpaare (11 Schüler + Lehrer). - Der Lehrer verteilt Kärtchen mit Impulswörtern. Die Teilnehmer in einem Doppelpaar

bzw. Paar bekommen jeweils ein identisches Impulswort.

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- Jeder Teilnehmer gestaltet aus seinem Impulswort (Liebe, Hass, Geburt, Tod, Hunger, Abenteuer, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Welt, Sinn… ) ein Assoziogramm.

- Anschließend wird von jedem Paar ein kurzer dialogischer (oder monologischer) Text geschrieben. Vor dem Schreibbeginn können Perspektive, Textsorte, Erzählhaltung vereinbart werden.

- Die Texte werden im Plenum vorgelesen und verglichen. Nach Sieber 1998.

REIH-UM-TEXT

Zuerst wird ein Thema vorgeschlagen, dann die Textstruktur und die Textsorte gewählt. Der erste Teilnehmer formuliert den ersten Satz. Alle Teilnehmer knüpfen der Reihe nach mit ihrem nächsten Satz an. Es wird darauf geachtet, dass der Text mit dem letzten Satz zum Abschluss kommt.

KLEINE NARRATIONEN

In den kleinen Narrationen werden Erinnerungen, Ereignisse, Wahrnehmungen, Gefühle, Beobachtungen, Erfahrungen, Schlussfolgerungen, Vorstellungen und Pläne reflektiert. Zum Beispiel im Blitzlicht-Verfahren tauschen sich die Teilnehmer über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges, über ihren Alltag, ihre Befindlichkeit oder über den Unterricht aus. Sie bekommen reihum die Möglichkeit, mit einem Wort oder mit einem/zwei Sätzen eine Situation zu reflektieren oder auf eine Frage zu antworten. Die Äußerungen werden nicht bewertet. Die Fragen können lauten: - Was Interessantes habe ich heute schon erlebt? - Wohin zieht es mich jetzt? - Was war für mich heute (gestern) der Feind des Tages? - Welche heutigen Erfahrungen sind für mich wichtig? - Was will ich heute erreichen? - Welche Herausforderungen stehen mir bevor?

Sowohl für das Blitzlicht als auch für andere kleine Thematisierungen werden Rubriken an der Wandzeitung errichtet. Sie können im Zusammenhang mit den anstehenden Themen gewählt, spezifiziert und von Zeit zu Zeit ausgewechselt werden. Die Beiträge können mithilfe von Zeitungstextausschnitten und Bildern zu kleinen Collagen verarbeitet werden.

Beispiele der kleinen Textmuster für den Aushang an der Wandzeitung

Aus meinem Notizbuch Aus meinem Tagebuch

Beifall für ... Tomate für ...

Das letzte Wort Die vergangene Woche

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Ein guter Rat ist teuer Einfach gesagt

Warum? Geheimnisse des Alltags

Glossar Im Fokus

Kleine Reportage Mein Kommentar

Meine Stimme Mit einem Satz

Motto des Tages Neuigkeiten

Perspektive/Blickwinkel Porträt Profil

Rund um die Uhr Vor vielen Jahren und heute

Was auf mich zukommt Was auch noch passiert ist

Was ich empfehle Was ich heute machen will

Was schlimm ist Wie ich heute lebe

X fragt Y Zitat des Tages/des Monats/des Jahres

WAS DER MENSCH SO BRAUCHT

Im Plenum wird ein Assoziogramm zu der Frage „Was braucht der Mensch?“ gebildet. Anschließend wird der Begriff „Mensch“ differenziert. Was braucht der Student, der Lehrer, die Mutter, das Kind, der Kranke, die Krankenschwester? Was brauchen die Verliebten? Was der Urlauber, der Fahrer, der Vegessliche…?

Jeder Teilnehmer wählt „seinen Menschen“ und sammelt erneut einschlägige Assoziationen. Dann wählt er die treffendsten und aussagekräftigsten Assoziationen aus und ordnet sie an. Zum Schluss entscheidet er über die besten Assoziationen für den Textanfang und für das Textende.

Die Mensch-Texte werden konzipiert und vorlesen. Nachdem sie in Absprache mit ihren Autoren korrigiert worden sind, werden sie mit Filzstift auf farbige Zettel geschrieben und in der Klasse oder im Flur ausgehängt.

Es folgt ein Beispieltext.

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Was der Lehrer so braucht Der Lehrer braucht gute Laune und viel Geduld. Er braucht mindestens einen Computer und festes Sitzfleisch. Er braucht neugierige Schüler. Außerdem braucht er interessante Hobbys und nette Freunde. Er braucht lange Wanderungen im Bekydy-Gebirge und abenteuerliche Reisen in fremde Länder – zum Beispiel nach Venezuela. Er braucht Bücher und Musik. Vor allem braucht er jedoch Gespräche. Er braucht viele Gespräche, interessante Gespräche, anregende Gespräche – Gespräche mit anderen Menschen.

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2. Kleine Formen Wer mit Wort, Satz und Text experimentieren will, kann sowohl der Geschichte der gesprochenen und geschriebenen Sprache, als auch der Theorie und Praxis der modernen Literatur zahlreiche Anregungen zur spielerischen Arbeit mit Wortschatz, Grammatik und Textform entnehmen. In diesem Kapitel werden ausgewählte einfache kleine Formen thematisiert, die sowohl in längeren als auch in kurzen Texten zur Geltung gebracht werden können. Es sind:

- Figuren und Tropen - Dimensionsloser und freier Vers - Piktogramme - Typogramme - Ideogramme - Stufengedicht/Wachsgedicht - Akustisches Gedicht - Konstellationen - Anagramme - Akrostichen - Elfchen - Schneeball - Paradigmatische Experimente - Haiku & Senryu & Kettengedicht - Schlagertexte - Poetische Texte

FIGUREN UND TROPEN

Figuren und Tropen haben ihren Ursprung im spielerisch-ästhetischen Umgang mit sprachlichen Merkmalen, Konnotationen und Assoziationen. Sie gründen auf Anordnungen, Auslassungen, Ersetzungen, Hinzufügungen, Verschiebungen, Wiederholungen oder Vertauschungen. Sie haben ästhetische Wirkung, sie aktualisieren das Welterleben und Welterkennen und übernehmen somit auch die kognitive Funktion.

Im Zusammenhang mit der sprachlichen Form spricht man meistens von Figuren (Assonanz, Alliteration, Ellipse, Anastrophe, Epistrophe, Parenthese), im semantischen Sinn von Tropen (Metapher, Euphemismus, Ironie).

Die folgende Auflistung der geläufigsten Figuren und Tropen wurde der Anlage 10 in Bajerová et al. (2013) entnommen und modifiziert. Allegorie. Ausgedehnte Metapher, Parabel. Eine Idee wird gleichnishaft dargestellt. Beispiele: Fabeln, Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing, Die Verwandlung von Franz Kafka, Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt.

Alliteration. Stabreim. Aufeinander folgende betonte Stammsilben haben den gleichen Anfangslaut. Weder Fisch noch Fleisch, klipp und klar, bitter und böse, Haus und Hof, Land und Leute .

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Anapher. Wiederholung des Satzanfangs in mehreren Sätzen. O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit...

Anastrophe (auch Inversion). Ein Betrüger bist du! Antithese. Gegensatz, Polarität, Kontrast: Himmel und Hölle; Zucker und Peitsche. Die

Satzglieder mehrerer Sätze sind in gleicher Weise angeordnet, drücken dabei einen semantischen Widerspruch aus: Du hast mir alles versprochen. Du hast mir nichts gegeben.

Assonanz. Vokalischer Halbreim. Benachbarte Silben haben gleiche Vokale: ottos mops. Chiasmus. Überkreuzung der gleichwertigen Satzglieder in zwei Sätzen. Und doch, welch

Glück geliebt zu werden!/Und lieben, Götter, welch ein Glück. (Goethe: Willkommen und Abschied.)

Ellipse. Auslassung von Satzteilen. Ende gut, alles gut. Je früher, desto besser. Emphase. Emotionsgeladene Steigerung der Bedeutung, nachdrückliche Hervorhebung,

Wiederholung, Betonung. Ich bin zufrieden, ja, ich sage es gern noch einmal: zu-frie-den! Epanastrophe. Wiederholung der letzten Wörter eines Satzes am Anfang des da-

rauffolgenden Satzes. In der Ferne ein Schiff. Ein Schiff mit Segeln. Epipher. Wiederholung des Satzendes in zwei oder mehreren Sätzen. Er will alles

erreichen und er kann alles erreichen. Etymologische Figur. Bedeutungsverstärkung durch Verbindung eines Substantivs mit

einem stammverwandten Verb. Gar schöne Spiele spiel ich mit dir (Goethe: Erlkönig); Was für einen Plan planst du hier?

Euphemismus. Abschwächende Verhüllung oder Beschönigung eines negativen Sachverhalts. moderne Waffen für Atomwaffen; preiswert für billig; Raumpflegerin für Putzfrau; er hat uns verlassen für er ist gestorben.

Hyperbel. Übertreibung. Es kam ein Meer von Tönen auf uns zu. Ironie, Sarkasmus. Nichtübereinstimmung der wörtlichen Bedeutung mit dem

Gemeinten. Das Gegenteil des Gesagten wird gemeint. Also das ist jetzt wirklich hervorragend.

Klimax. Steigende Anordnung der Ausdrücke. Es dauerte Stunden, Tage, Wochen. Lautmalerei, Onomatopoesie. Phonetische Nachahmung akustischer Erscheinungen. Auf

einmal krachte – krabatzki – krabumm – das ganze Hochhaus zusammen (Hanna Hanisch: Wohnung zu vermieten).

Metapher.2 Gebrauch eines Wortes in übertragener Bedeutung im Verhältnis der Ähnlichkeit. Es war eine harte Nuss zu knacken. Alles ist im Eimer. Am Fuß des Berges. Aus der psycholinguistischen bzw. philosophischen Perspektive wird die Metapher als eine konstitutive Leistung des menschlichen Denkens, Fühlens und der Imagination angesehen. Die Metapher hat Erkenntnisfunktion, organisiert aufs Neue die Erfahrung, entdeckt neue Wahrheiten und mögliche Welten.

2 Neben der Metapher werden Metonymie und Synekdoche unterschieden. Unter Metonymie versteht man

den Gebrauch eines Wortes in übertragener Bedeutung im Verhältnis der Kontiguität – zum Beispiel in den Relationen Urheber-Produkt (ich lese gern Böll), Material-Produkt (heute essen wir Pasta), Form-Inhalt (trinken Sie auch ein Glas?), Konkretum-Abstraktum (sie haben das Kriegsbeil begraben für sie haben Frieden geschlossen). Unter Synekdoche versteht man den Gebrauch eines Wortes aus dem gleichen Begriffsfeld in den Relationen Teil-Ganzes, Gattung-Art, Allgemeines-Spezielles (sein Brot verdienen, ein Dach über dem Kopf haben). „Man versteht unter einem Teil das Ganze oder unter dem Ganzen einen Teil“ (Cicero, 106–43 v. u. Z.).

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Oxymoron. Unstimmigkeit, Verbindung eines Ausdrucks mit seiner Gegenbedeutung, Unerwartetes. Hassliebe; Jain.

Paradoxon. Widerspruch. Ich weiß, dass ich nichts weiß. Weniger ist mehr. Parallelismus. Die Satzglieder mehrerer Sätze sind in gleicher Weise angeordnet. Reden

ist Silber, Schweigen ist Gold. Parenthese. Einschub. Er ist – ich habe das gerade gehört – verunglückt. Personifikation. Übertragung menschlicher Eigenschaften auf Tiere, Pflanzen,

Gegenstände. Die Nacht schuf tausend Ungeheuer (Goethe: Willkommen und Abschied). Pleonasmus. Anhäufung von Wörtern mit sinngleichen Merkmalen, auch zwecks

Bedeutungsverstärkung (alter Greis, tote Leiche, weibliche Präsidentin, großer Riese, kaltes Eis, bereits schon; auch nie und nimmer, voll und ganz, aus und vorbei, für immer und ewig).

Pointe. Abschließende Zuspitzung. ...Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten. Das einer alles hat, das ist selten (Kurt Tucholsky: Das Ideal)

Symbol. Wort, Bild, Gegenstand als Träger einer besonderen, allgemein bekannten Bedeutung. Kreuz für den christlichen Glauben, Herz für Liebe, Anker für Hoffnung, Kreis für Ganzheit und Harmonie.

Synästhesie. Referentielle Verbindung unterschiedlicher sinnlicher Wahrneh-mungsbereiche – des akustischen, visuellen, taktilen, gustatorischen, olfaktorischen. Warme Stimme, eisiger Blick, goldene Töne, klingende Farbe.

Vergleich. Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,/Und lächelt fort die deutschen Sorgen (Heinrich Heine: Nachtgedanken).

Zeugma. Spielerische, inkongruente Verbindung von Satzgliedern. Sie entsteht durch Worteinsparung bzw. durch Verwendung eines Wortes in unterschiedlichen Bedeutungen. Nimm dir Zeit und nicht das Leben!

AUFGABE – FIGUREN UND TROPEN

Lesen Sie den folgenden Text und identifizieren Sie einige der Figuren und Tropen, die der Autor verwendet. Finden und bringen Sie weitere Beispiele für Figuren und Tropen aus der Belletristik bzw. aus den Online-Texten.

1 5 10 15

Das Wort „öde“ muss für Orte wie diesen erfunden worden sein. Die Insel ist ein J-förmiger Felsbrocken, der sich mürrisch aus der Nordsee erhebt. Auf

der Landkarte gleicht sie der oberen Hälfte eines zerbrochenes Spazierstocks; sie verläuft parallel zu den Breitengraden; der gebogene Griff weist nach Aberdeen, der zerbrochene, zerklüftete Stumpf zeigt drohend auf das ferne Dänemark. Die Insel ist zehn Meilen lang. An ihren Rändern ragen die Klippen großenteils schroff aus dem kalten Meer. Kein lieblicher Strand schmeichelt den Wellen. Erbittert über diese Grobheit hämmern die Wellen in ohnmächtigem Zorn auf den Felsen ein – ein zehntausend Jahre währender Wutanfall, den die Insel ungestraft missachtet. In der Biegung des J ist das Meer ruhiger, denn dort hat es sich selbst einen angenehmeren Zugang geschaffen. Seine Gezeiten haben so viel Sand und Tang, Treibholz und Kieselsteine und Muschelschalen in die Krümmung geworfen, dass dort nun zwischen dem Fuß der Klippen und dem Rand des Wassers eine Sichel entstanden ist – mehr oder weniger ein Strand.

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20 25 30 35 40

Jeden Sommer lassen die Pflanzen auf der Spitze der Klippen eine Handvoll Samen auf den Strand fallen, so wie ein reicher Mann Bettlern ein paar Groschen zuwirft. Wenn der Winter milde ist und der Frühling nicht zu spät kommt, gelingt es einigen Samen, auf dem Boden Halt zu finden und Wurzeln zu treiben. Aber sie haben nie genug Kraft, um selbst zu blühen und ihre eigenen Samen zu verbreiten. Die Vegetation des Strandes hängt also von Jahr zu Jahr von Almosen ab.

Auf dem eigentlichen Land, das durch die Klippen dem Zugriff des Meeres entzogen ist, wächst und vermehrt sich Grünzeug. Die Vegetation besteht vor allem aus einer dürftigen Grasnarbe, die gerade gut genug ist, um die wenigen knochigen Schafe zu ernähren, aber fest genug, um die Bodenkrume auf den Felsen der Insel zu verankern. Ein paar Dornensträucher dienen den Kaninchen als Behausung, und eine mutige Gruppe von Koniferen steht am windgeschützten Hang des Hügels am Ostende.

Das höher gelegene Land wird von Heidekraut beherrscht. Alle paar Jahre steckt der Mann – ja, es gibt hier einen Mann – die Heide in Brand, so dass Gras wächst und die Schafe auch hier grasen können. Nach ein oder zwei Jahren kommt das Heidekraut jedoch wieder – Gott weiß, woher – und vertreibt die Schafe, bis der Mann es wieder abbrennt.

Die Kaninchen sind hier, weil sie hier geboren wurden, die Schafe sind hier, weil man sie hierhergebracht hat, der Mann ist hier, um sich um die Schafe zu kümmeren, doch die Vögel sind hier, weil es ihnen gefällt. Es gibt hunderttausende von ihnen: langbeinige Strandpieper, die piep piep piep pfeifen, während sie losfliegen, und pe-pe-pe-pe, wenn sie im Sturzflug sind wie eine Spitfire, die aus der Sonne heraus eine Messerschmidt angreift; Wiesenknarren, die der Mann selten zu Gesicht bekommt, von deren Anwesenheit er aber weiß, da ihr Krächzen ihn nachts wachhält; Raben, Aaskrähen, Dreizehenmöwen und zahllose Seemöwen; dazu ein paar Goldadler, auf die der Mann schießt, wenn er sie sieht, denn er weiß dass sie lebende Lämmer schlagen und sich nicht mit Kadavern begnügen – da können ihm Naturforscher und Biologen aus Edinburgh erzählen, was sie wollen.

Aus FOLLETT, Ken. Die Nadel. Köln: Bastei Lübbe, 1979, 56f. e Aaskrähe (s Aas = mršina; e Krähe = vrána) e Dreizehenmöwe = racek tříprstý r Goldadler = orel skalní r Rabe = havran e Seemöwe = racek mořský r Strandpieper = linduška skalní e Wiesenknarre = chřástal polní

DIMENSIONSLOSER UND FREIER VERS

Aus der Metrik/Verslehre (nach Josef Hrabák). Der Vers zeichnet sich durch eine bestimmte Anordnung der Betonungen, der Längen, der Silben, manchmal auch der Rheime aus. Als Gedichteinheit hat er einen eigenen Stellenwert und stellt somit eine Bedeutungseinheit dar. Er ist nicht dem Satzbau untergeordnet. Die bekanntesten Verse (Versfüße) sind: Jambus: Besuch x ´x Trochäus: Abend ´x x Anapäst: Paradies x x ´x Daktylus: Enterich ´x x x

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In der Poesie treffen wir auch auf den freien und den dimensionslosen (bezrozměrný) Vers. Der dimensionslose Vers wurde in den ältesten Texten der tschechischen Literatur

verwendet, zum Beispiel in der Dalimil-Chronik (Ende des 13./Anfang des 14. Jh.). Er hat keine feste Silbenanzahl. Ein Satz besteht oft aus einem Doppelvers. Als Beispiel bringen wir das Gedicht Vorsicht von Günter Eich. Der Ausgangstest lautet:

Vorsicht. Die Kastanien blühn. Ich nehme es zur Kenntnis, äußere mich aber nicht dazu.

Der freie Vers hat wenig Versmerkmale. Symptomatisch ist die graphische Gliederung und Anordnung. Der freie Vers ist unabhängig von der Syntax, die Zeilen haben unterschiedliche Länge, häufig sind Verzicht auf Interpunktion oder Großbuchstaben am Zeilenanfang. Als Beispiel bringen wir das Gedicht verstockt von Hans-Curt Flemming. Der Ausgangstest lautet:

Verstockt. Bei uns zuhaus gab es keine unterschiedlichen Standpunkte, sondern nur Missverständnisse und Kinder, die einfach nicht verstehen wollten.

Vorsicht Die Kastanien blühn. Ich nehme es zur Kenntnis, äußere mich aber nicht dazu.

Günter Eich

verstockt bei uns zuhaus gab es keine unterschiedlichen standpunkte sondern nur missverständnisse und kinder die einfach nicht verstehen wollten

Hans-Curt Flemming

AUFGABE – DIMENSIONSLOSER UND FREIER VERS

Verwenden Sie die Form des dimensionslosen und des freien Verses in Ihrem eigenen Text. Gehen Sie davon aus, was Sie heute, gestern oder schon immer beobachtet, erlebt oder erfahren haben. Beschreiben Sie Ihre Beobachtung, Erfahrung, Ihr Erlebnis in einem oder zwei Sätzen. Strukturieren Sie Ihre Beschreibung zu einem Gedicht:

- nach Sätzen oder Satzgliedern (wie Günter Eich) oder - frei (wie Hans-Curt Flemming).

Es folgen zwei Beispiele.

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Heute In der Frühe hatte ich keine Lust aufzustehen. Doch dann erinnerte ich mich. Am Nachmittag – Schlittschuhlaufen am Masaryk-Platz mit Monika.

Jirka

abfalltrennung macht mir keinen spaß tr o tzd e m tr e nn ei ch bis zum geht nicht mehr fazit plaste sind leicht papier ist schwer

Petra

PIKTOGRAMME

Das Bild, der Laut und das Schriftzeichen bildeten ursprünglich eine Einheit. Ein Beispiel dafür sind die ägyptischen Hieroglyphen.

= N, voda

= R, ústa

= DSCH, had

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AUFGABE – PIKTOGRAMME

Woher stammt und wozu dient die folgende Tafel? Was kann ihr Thema sein? Schlagen Sie den Titel und die Texte für die einzelnen Bilder vor.

Schlagen Sie ein gemeinsames Thema vor. Gestalten Sie in Einzel- oder Paararbeit eigene Piktogramme und einschlägige Texte dazu. Tauschen Sie sich darüber aus.

TYPOGRAMME Die Typogramme entstehen als Ergebnisse eines intensiven Eingehens auf die Buchstabengestalt. Es folgen vier Beispiele.

dick schmal

Müdigkeit

e h g B T c e ins B e t T I l mich B T.

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FISCHES NACHTGESANG

˘ ˘

– – –

˘ ˘ ˘ ˘

– – –

˘ ˘ ˘ ˘

– – –

˘ ˘ ˘ ˘

– – –

˘ ˘ ˘ ˘

– – –

˘ ˘

– Christian Morgenstern

IDEOGRAMME

Die Ideogramme sind Gebilde aus Buchstaben und Wörtern, die als Ergebnis präziser semantischer Intentionen entstehen, „Sehgegenstände“ von logischem Aufbau. Ein Beispiel:

ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung unordn g ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung ordnung

Timm Ulrichs (konkrete poesie, Reclam 1972)

AUFGABE – TYPOGRAMME UND IDEOGRAMME

Schlagen Sie eigene Themen vor. Gestalten Sie in Einzel- oder Paararbeit jeweils ein Typogramm oder ein Ideogramm. Tauschen Sie sich darüber aus.

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STUFENGEDICHT/WACHSGEDICHT

Die Stufen- bzw. Wachsgedichte wachsen und schrumpfen, ihre Zeilen ähneln den Stufen. Es folgen zwei Beispiele.

spaziergang tropfen tropfen tropfen tropfen regen blitz donner – wo ist mein regenschirm? schnell nach Hause!

Ohne dich Ohne dich Ohne dich bin ich Ohne dich bin ich nicht Ohne dich bin ich nicht ich

AUFGABE – STUFENGEDICHT/WACHSGEDICHT

Gestalten Sie ein Stufen- bzw. Wachsgedicht.

AKUSTISCHES GEDICHT

Jedes mündlich vorgetragene Gedicht ist ein akustisches Phänomen. Von akustischen Gedichten im engeren Sinne des Wortes wird jedoch vor allem dann gesprochen, wenn die sinnliche Klangwahrnehmung, der Rhythmus, die Lautmalerei oder die Melodie ausgeprägt sind und die Bedeutung mitgestalten.

AUFGABE – AKUSTISCHES GEDICHT

Lesen Sie laut das Wiegenlied von Clemens Brentano und diskutieren Sie kurz über seine akustische Wirkung.

Singet leise, leise, leise...

Singet leise, leise, leise,

Singt ein flüsternd Wiegenlied; Von dem Monde lernt die Weise,

Der so still am Himmel zieht.

Singt ein Lied so süss gelinde, Wie die Quellen auf den Kieseln,

Wie die Bienen um die Linde Summen, murmeln, flüstern, rieseln.

Sammeln Sie ein paar interessante akustische Gedichte und tragen Sie sie im Plenum vor. Sie können bei poetischen Texten von Ernst Jandl (1925–2000) anfangen (siehe zum Beispiel http://de.wikipedia.org/wiki/Schtzngrmm und zahlreiche youtube-Aufnahmen).

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AUFGABE – AKUSTISCHES GEDICHT

Gestalten Sie kurze akustische Texte zu ausgewählten Begriffen, Wörtern, Vokabeln.

KONSTELLATIONEN

Die Konstellationen entstehen durch Techniken der Kombination, Permutation und Inversion der sprachlichen Elemente.

AUFGABE – KONSTELLATIONEN

Lesen und beschreiben Sie die die Konstellation der folgenden zwei Beispieltexte.

avenidas avenidas avenidas y flores flores flores y mujeres avenidas avenidas y mujeres avenidas y flores y mujeres y un admirador

Eugen Gomringer

sommer grille sense gras sense grille sense gras sense grille sense gras sense grille sense gras

Ernst Jandl

Schlagen Sie eigene Themen vor und gestalten Sie in Einzel- oder Paararbeit weitere Konstellationen.

ANAGRAMME

Das Wort Anagramm stammt aus dem griechischen anagramma, anagraphein und bedeutet Buchstabenversetzung. Zum Beispiel aus Ferien: Feier, Feiern, Fee, Feen, Firn, Ei, Eier, Niere, feiern, fein, fern, er, nie, reif, rief, (nein, irre, frieren).

AUFGABE – ANAGRAMME

Gestalten Sie Anagramme aus dem Wort schreiben. Schreiben Sie einen kurzen Text, in dem sie möglichst viele Ihrer Anagrammwörter verwenden.

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AKROSTICHEN

Das Wort Akrostichon stammt aus dem griechischen akros und stichos und bedeutet ein Gedicht, bei dem die Anfangsbuchstaben bzw. Anfangswörter der Verszeilen ein Wort bzw. einen Satz geben. Es folgen zwei Beispiele.

Stefan Sieht gut aus. Tanzt noch besser. Eckensteher? Bestimmt nicht. Flirtet gerne. Am liebsten mit Barbara. Nie mit Jeanette. Bianka Papešová

Jena Jan, Peggy, Maria Erste Gespräche Neue Begegnungen An der Saale

AUFGABE – AKROSTICHEN

Vergleichen Sie die folgenden zwei Akrostichen zum Stichwort Bildungsweg. Formulieren Sie Hypothesen zum Alter der Autoren und zu Ihren Lebenseinstellungen.

Bildungsweg I Bücher Informationen Lösungen Deutungen Unsicherheit Nichtigkeit Gedanken Schmerz Was? Wie? Warum? Einsamkeit Grübeln

Bildungsweg II Bilder Ich Liebe Du Ungeduld Neues Gespräche Sehnsucht Welt Erfahrung Geduld

Lassen Sie sich von folgenden Stichwörtren zur Gestaltung eines eigenen Akrostichons inspirieren: Ferien – Urlaub – Ostern – Weihnachten – Sonntag – Mittwoch – Freundschaft – Liebe – Ostrava. Sie können auch von Ihren eigenen Ideen ausgehen. Nehmen Sie bei der Gestaltung des Akrostichons das Wörterbuch zur Hilfe.

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ELFCHEN

Das Elfchen besteht aus elf Wörtern in fünf Zeilen. 1. Zeile: ein Wort: Farbe. 2. Zeile: zwei Worte: etwas, was diese Farbe hat. 3. Zeile: drei Worte: nähere Bestimmung (wo es ist, was es macht, verursacht...). 4. Zeile: vier Worte: meine Beziehung zu der beschriebenen Wirklichkeit oder

mein Platz darin; die Zeile beginnt mit dem Wort „Ich“. 5. Zeile: ein Wort: Abschluss, Zusammenfassung, Wertung oder Pointe.

AUFGABE – ELFCHEN

Lesen Sie die folgenden Beispiele. Vergleichen und erklären Sie die Wahl der Klein- und Großschreibung der Anfangsbuchstaben und die Interpunktion.

Weiß deine Bluse steht dir gut der Frühling kann kommen Freude

weiß ein Schäfchen auf dem Himmel läuft langsam zur Sonne Freude Markéta

Schwarz – tiefer Schmerz in meiner Seele. Nach der großen Liebe – Enttäuschung. Markéta

weiß das papier ist noch leer – wartet nur auf mich inspiration? Lenka

weiß große Wolken ziehen hoch oben sie bringen keinen Regen ausgezeichnet! Petra

schwarz der Bräutigam steht am Altar wo ist die Braut? verschwunden....

Blau Dein Hemd Du kommst näher Jetzt kann ich sagen Hallo!

Blau Der Bildschirm Deine Mail kommt Ich öffne sie sofort: Freude

AUFGABE – ELFCHEN

Wählen Sie eine Farbe und schreiben Sie Ihr eigenes Elfchen.

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SCHNEEBALL

Auch im Schneeball-Text wird mit der Anzahl der Wörter und Zeilen gespielt. Der Text besteht aus sieben Zeilen, wobei sich in der ersten Zeile ein Wort befindet, in der zweiten zwei, in der dritten drei, in der vierten vier. Dann geht die Anzahl der Wörter wieder zurück – in der fünften Zeile befinden sich drei Wörter, in der sechsten zwei, in der siebenten ein Wort. Das folgende Beispiel von Sylvia Wünsche stammt aus Peyerin (2007, 62).

Herbeigesehnt

Wie Regen In der Wüste

Ich lade dich ein Zu einem Tanz

Auf nassem Asphalt

PARADIGMATISCHE EXPERIMENTE

Als Paradigmen werden in der Sprachwissenschaft meistens geordnete Konjugations- und Deklinationsmuster oder Klassen der konkurrierenden bzw. austauschbaren Elemente bezeichnet. Es können zum Beispiel die grammatischen Klassen der Zahlen, Pronomina, Wortbildungsregeln, aber auch semantische Klassen der Begriffsfelder, Themen, Subthemen und Motive sein.

AUFGABE – PARADIGMATISCHE EXPERIMENTE

Lesen Sie die folgenden Beispieltexte und identifizieren Sie das ihnen zugrunde liegende Paradigma.

KONJUGATION Ich gehe du gehst er geht sie geht es geht. Geht es? Danke - es geht.

Rudolf Steinmetz

für sorge ich für mich du für dich er für sich wir für uns ihr für euch jeder für sich

Burckhard Garbe

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LEHR REICH ERSTES REICH ZWEITES REICH DRITTES REICH DRITTES REICHT BURCKHARD GARBE

der tod des todes dem tod den tod der tod des todes dem tod den tod Ernst Jandl

fünfter sein tür auf tür auf einer raus einer raus einer rein einer rein vierter sein nächster sein tür auf tür auf einer raus einer raus einer rein selber rein dritter sein tagherrdoktor tür auf sein Ernst Jandl einer raus einer rein zweiter sein

unbestimmte zahlwörter alle haben gewusst viele haben gewusst manche haben gewusst einige haben gewusst ein paar haben gewusst wenige haben gewusst keiner hat gewusst Rudolf Otto Wiemer

Mein Haus ist meine Welt Im ersten Stock wohne ich mit meinem Freund und meiner Großmutter. Im zweiten Stock wohnen meine Eltern und mein Bruder. Im dritten Stock wohnen die Vögel. Im vierten Stock wohnen Sonne, Mond und Sterne. Im fünften Stock wohnt das Universum. Petra Nawratová

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AUFGABE – PARADIGMATISCHE EXPERIMENTE

Schreiben Sie auf der Grundlage eines beliebigen Paradigmas einen eigenen Text.

AUFGABE – PARADIGMATISCHE EXPERIMENTE

Vergleichen Sie das Konzept des paradigmatischen Experiments mit dem Konzept der Äquivalenzen in diesem Kapitel.

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HAIKU – SENRYU – KETTENGEDICHT

Haiku (haikai, hokku: jap. humoristische Posse) ist die kürzeste literarische Form überhaupt. Es sind drei Verse zu 5 – 7 – 5 Silben. Im 17. Jh. wurde der Haiku-Stil von Matsuo Bashō (1644–1694) kultiviert. Das Frosch-Haiku von Bashō wird für das bekannteste japanische Gedicht gehalten. Wir bringen es samt drei Übersetzungen.

Furu ike ya! Kawazu tobikomu Mizu no oto!

Der alte Weiher. Ein Frosch springt hinein. Oh! Das Geräusch des Wassers. Übersetzung: M. Bischoff, 1981

Pradávný rybník. Jen skočí-li tam žába, zažbluňkne voda. Übersetzung: A. Breska, 1937

Ta stará tůňka! Co chvíli pod žabičkou do ticha žbluňká! Übersetzung: M. Novák und J. Vladislav, 1962

Das Haiku ist ein imaginatives Gedicht, in dem die bildhafte Einsicht in das Wesen des Augenblicks mit dem Leser intellektuell und emotionell räsonieren soll – eine mikrokosmische Form, „eine Welt im Sandkorn“ (William Blake, 1757–1827; Autor von großen epischen Gedichten und Haiku-Bewunderer).

Der Haiku-Dichter ist ein Wanderer durch das Leben, das von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde wandelt. Das Erleben schöpft aus diesem Wandel. Der Wandel ist das Sinnbild allen Lebens und das Haiku ist eine literarische Gussform dieses Wandels.

„Sie haben das Recht, knapp […] zu sein. Fassen Sie, was Sie sehen, in einen engen Horizont von Worten und Sie werden interessant sein. Sie haben das Recht, selbst […] zu bestimmen, was beachtenswert ist.“ Roland Barthes (Das Reich der Zeichen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1981, 95).

Matsuo Bashō.

Zeichnung: Yosa Buson. http://de.wikipedia.org/wiki/Matsuo_

Bash%C5%8D

Dem Haiku liegen zahlreiche Regeln zugrunde. Die wichtigsten von ihnen führen wir an. 1) Ein Haiku besteht aus drei Zeilen zu 5 – 7 – 5 Silben. 2) Es reimt sich nicht. 3) Es hat keinen Titel. 4) Worttrennungen über das Zeilenende hin, Fremdwörter und Wiederholungen sind zu vermeiden. 5) Es bezieht sich auf ein Naturerlebnis bzw. auf ein einmaliges Ereignis, eine einmalige Erfahrung, einen einmaligen Vorgang. 6) Es beinhaltet ein Wort für eine Erscheinung aus der Natur, das Rückschlüsse auf die Jahreszeit zulässt. 7) Die inhaltliche Spannung wird manchmal durch die Gestaltung von zwei Polen erreicht (z. B. Licht – Dunkelheit). 8) Die Wahrnehmung entwickelt sich in den ersten zwei Zeilen und in der dritten Zeile kann es zu einer überraschenden Lösung kommen. 9) Das Geschehen wird als gegenwärtig dargestellt.

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AUFGABE – HAIKU

Lesen Sie die folgenden Beispiele. Welche der oben genannten Regeln werden in ihnen zur Geltung gebracht?

Am Neujahrstag wird jedes gute Ding Garant für gutes Leben.

Matsuo Bashō (1644–1694) Wintersprühregen. Auch das Äffchen ersehnt sich jetzt einen Umhang.

Matsuo Bashō (1644–1694)

Die Kerze verlöscht – wie laut ruft jetzt die Grille im dunklen Garten. Imma von Bodmershof

Im Senryu wird die Form des Haiku beibehalten, es besteht jedoch thematische Freiheit.

Vor der Klatsche flieht die Eintagsfliege. Warte – bis übermorgen.

Ingo Cesaro

Sechs Senryus zum Thema Essen und Trinken

auf dem Tisch Suppe schmackhafte Minestrone guten Appetit

Martina

Wurst, Kartoffeln, Kraut gurgeln hektisch im Eintopf mährisches Gericht

Petra

essen und trinken Wiener Schnitzel, Bier, Kaffee und Dessert muss sein

Zuzka

Spaghetti? Ketchup? mein Freund aus Deutschland sagt mjam also warum nicht?

Katka

der Pizza-Kuchen – ein Teller für dich und mich – hat uns gut geschmeckt

Petr

Geburtstagsfeier am Tag danach Kopfschmerzen der Schnaps bringt mich um

Dana

(95) Kreatives Schreiben im Lehren und Lernen der Fremdsprache Deutsch – Pavla Zajícová

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AUFGABE – HAIKU ODER SENRYU?

Welche der folgenden Dreizeiler stellen ein Haiku, welche ein Senryu dar? Draußen Frost und Sturm Auf der Fensterbank liegt Schnee Warm mein Federbett KK Ägyptenreise Koffer wieder bei Zbyněk Vati bleibt allein SL Sag nichts mehr, sprich nicht Wörter, so nah an Wahrheit Verirren sich leicht

Rote Lampions Inmitten grüner Blätter Erinnerungen Feuer im Kamin Alle sind schon zu Hause Und der Kater schnurrt Abend am PC Die Welt als Text am Bildschirm Du in deinen Mails

AUFGABE – HAIKU

Machen Sie sich mit den Strategien zum Schreiben des Haiku bekannt. Wählen Sie eine Strategie und schreiben Sie danach ein Haiku oder ein Senryu. 1) Umwandlung des Elfchens ins Haiku.

rosa süße Zuckerwatte Duft am Rummelplatz schmeckt nach luftigen Wolken Genuss Anna Baumann

Duft am Rummelplatz, schmeckt nach luftigen Wolken – wie Zuckerwatte. Steffi Hagenbucher

weiß ein Schäfchen hoch am Himmel läuft langsam zur Sonne Freude Markéta

steht erst am Himmel läuft dann langsam zur Sonne – ein weißes Schäfchen Markéta

2) Kürzung eines beliebigen Gedichts. 3) Erinnerung an einen einmaligen Augenblick. Beschreibung dieses Augenblicks mit ein paar kurzen Sätzen im Haibun-Stil. Kürzung und Reduktion dieses Textes.

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Haibun ist ein Prosatext im Haiku-Stil. Der Haibun-Autor gestaltet seinen Text aus dem spontanen inneren Erleben heraus und reiht Gedanken skizzenhaft aneinander. In der Stoffwahl besteht Freiheit. Das Haibun muss einen prägnanten und einfachen Stil aufweisen. Es hat zwar eine geschlossene Konzeption, trotzdem darf es nicht abschließend wirken. Es folgen zwei Beispiele.

Als ich heute morgen ums Haus zu meinem Wagen schlenderte, sah ich, wie die Windschutzscheibe übersät war mit den kleinen weißen Blütenblättchen der alten Clematis. Ein Bild wie sonst nur im Winter. Beim Anfahren getraute ich mich nicht, die Scheibenwischer in Bewegung zu setzen. Der erste Fahrtenwind stob dann alles auseinander. Es regnete Blütenblätter.

Mein Auto, ein japanischer Kleinwagen, hielt die Pracht wohl für Kirschenblüten und erinnerte sich wehmütig. Sein Motor summte leise.

Auf der Frontscheibe – wie Erinnerungsfetzen – Clematisblüten.

Ria Isler. Schreiben unterm Apfelbaum. Winterthur: Leonie Patt, 2000.

Jitka. Was sie alles schaffen muss… Kinder erziehen, einkaufen, kochen, die Wäsche besorgen, Handwerker bestellen, ihrem Mann zur Seite stehen, Gäste begrüßen, sich im Beruf durchsetzen, Freunde besuchen, lieb sein, den Rasen mähen, ihre kranke Mutter pflegen. Und ein schnelles Auto fahren. Alles muss schnell gehen.

Ihr Tagesprogramm Zettel mit zwölf Aufgaben Wie schafft sie das nur?

4) Meditative Annäherung (nach von Werder, 1995) Auf dem Weg zum Finden des Ich, zum Berühren und Überschreiten der eigenen Grenzen werden drei Schritte der Konzentration/Meditation beschrieben. Es sind die Besinnung, die Betrachtung, die Versenkung.

- In der Besinnung wird man auf den Bewusstseinsstrom in sich aufmerksam, auf Erinnerungen, Erfahrungen, Figuren, Gegenstände, Landschaften.

- In der Betrachtung lässt man daraus langsam Bilder entstehen, man tritt in die Bilder ein und verschmilzt damit.

- In der Versenkung geht man mit dem Bild ein Stück weiter. Bilder, Begegnungen und Gefühle werden mit einigen Worten zur Sprache gebracht.

5) Sumi-E (Sumi = schwarze Tusche, E = Bild) ist eine alte orientale spontane „natürliche“ Maltechnik. Durch ein paar Züge mit dem Pinsel soll ein ausgeprägter Augenblick des Seins

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ausgedrückt werden. Keine Übermalungen sind zugelassen. Zu dem Bild wird ein Haiku-Text geschrieben. Haiga (Hai für Haiku + ga = Bild) heißt die Verbindung von Sumi-E und Haiku.

Angelica Zubiran

Drue Kataoka Bilder aus https://www.google.cz/#q=sumi-e, Obrázky.

Kettengedicht Kettengedichte haben ein einheitliches Thema, das mit der ersten Strophe angekündigt wird. Der Autor jeder nächsten Strophe entwickelt sein eigenes Bild. Das Renga besteht aus: 2 Strophen: 5 – 7 – 5 7 – 7 oder aus: 3 Strophen: 7 – 7 5 – 7 – 5 7 – 7

Frühlingsabend; der Alte raucht seine Pfeife, erzählt Geschichten.

Saskia Ishikawa-Franke Wenn er ins Stocken gerät, raunen die Bäume im Wald.

Gisela Franz

Das Rengay besteht aus: 6 Strophen: 5 – 7 – 5 7 – 7 Es wird von zwei Autoren geschrieben. Es folgt ein Rengay zum Thema November.

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Wind so aus Nordost. Nur zwei Blätter bleiben noch auf dem Kalender. Allerseelengottesdienst. Die Kerzen flackern etwas. Es ist Montag früh, und der Wagen springt nicht an. Ein Marder flitzt vorbei. Vor der Kirche Eine Krähe geht langsam weg, von irgendeinem Aas. Nach dem Danksagefestmahl total einseitiger Fußball. Der Schnee taut noch weg. Doch nehmen wir und schon Zeit, Rengay zu spielen.

Charles Trumbull Horst Ludwig Charles Trumbull Horst Ludwig Charles Trumbull Horst Ludwig

Von weiteren zahlreichen Kettengedichten nennen wir folgende: Han Kasen (18 Strophen = 9 Renga, von 2–18 Autoren geschrieben).

Kasen (36 Strophen = 18 Renga, von 2–36 Autoren geschrieben). Hyakuin (100 Strophen; 6–18strophige Abschnitte, von 2–100 Autoren geschrieben). Senku (1000 Strophen). Renshi ist formal ungebunden, die klassischen Motive sind nicht verbindlich. Anzahl der

Kettenglieder, Strophenform, Anzahl der Verse, Metrik sind frei. Der nächste Autor greift den Sinn der Verse seines Vorgängers auf und startet das nächste Kettenglied. Es soll nicht „weitererzählt“ werden – verlangt wird ein Wechsel der Assoziationen, eine unerwartete Wendung, ein Sprung.

Jeder nächste Schritt soll frei sein von dem Wunsch nach einer Rückkehr, soll ein neues Bild, eine neue. auch entgegengesetzte Richtung bringen.

AUFGABE – KETTENGEDICHT

Entscheiden Sie sich in Ihrer Gruppe für ein gemeinsames Thema und schreiben Sie ein Kettengedicht.

Ein Beispiel zum Thema Mitternacht, in dem wir uns nicht so streng an das Verbot des Weitererzählens gehalten haben, finden Sie auf der nächsten Seite.

Die einzelnen Autoren haben je eine oder mehrere Strofen geschrieben. Die vorliegende Anordnung wurde später gestaltet.

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Um Mitternacht. Versuch eines Rengay in sechs Kapiteln Kapitel 1 Gelber Pilger am Himmel – hast´s dir selber ausgesucht? Langweilst du dich nicht? Tag für Tag derselbe Weg, derselbe Anblick. Was für Geschichten könntest du wohl erzählen, wärst du nicht so weit.

Kapitel 2 Brennt das Licht auf der Straße, drinnen liegt ein Kind im Bett. Versunken in tiefen Schlaf nach dem Gute-Nacht-Märchen. Jetzt kann´s alles erleben, durch die ganze Welt fahren. Sein Wagen – der Traum.

Kapitel 3 Die zwei auf der Bank nehmen nur sich selber wahr. Arme und Lippen. Denke an dich – Tag und Nacht. Dein Schweigen macht mich kaputt.

Verliebte Pärchen umarmen und küssen sich. Für mich bleibt das Nichts.

Kapitel 4 Ruhe überall? Fenster dunkel, schwarz. Nur Katzen sind wach? Leben überall! Und die Hunde bellen wild – fordern den Vollmond heraus. Laut Fernsehprogramm kommt der Krimi nach Larsson. Schlafe ich nicht ein? An der Tür Stimmen. Ist´s nicht zu spät für Besuch? Wer kann das nur sein? Wie spät ist es schon? Mein Magen knurrt vor Hunger. Im Kühlschrank nur Bier.

Was machst du in der Küche? Lass uns jetzt schlafen gehen. Jetzt schlafen gehen? Wo das Nachtleben erwacht? Lass uns ausgehen! In der Stodolní beherrscht Freude die Szene. Jugend und die Nacht. Nach der Geburtstagstorte um ein Jahr älter. Tanzen, Singen, Wein. Ob dann Katzenjammer kommt? Aber Spaß muss sein!

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Kapitel 5 Blitzlichtgewitter. Ein dunkler Schatten vor mir. Ich ducke mich schnell. Der Mann da – bewegungslos, sieht aus wie eine Leiche. Morgendämmerung? Nicht doch! Aber woher kommt das Licht? Das wird eine Falle sein!

Beine unter die Arme – schnell auf und davon! Der Weg nach Hause im Trab. Bin endlich im Bett. Um mich Wärme und Ruhe. Doch wann kommt der Schlaf?

Kapitel 6 Wie Wolken über´n Himmel. Vorbei. Alles nur ein Traum. – Kommst morgen wieder? Der endlose Lauf der Zeit. Der Kreis des Lebens. Vom Kirchenturm zwölf Schläge. Schließe die Augen! Hörst du den Rhythmus der Welt? Regelmäßig, dumpf...

Nacht schreitet voran. Flink, wie Sekundenzeiger. Zeit am Scheideweg. Gleißende Sterne. Die Erde wartet Auf den Einschnitt des Tages.

Michaela Šrámková, Michaela Špakovská, Blanka Lužná, Anžela Petrosjanová, Iveta Koleňáková, Alexandra

Obluková, Veronika Šrámková, Jana Riedelová, Veronika Hanáková, Daniela Vozníková, Jiří Jošt, Pavla Zajícová. Vorgetragen in der Langen Nacht der kurzen Texte am 16.10.2012 an der Universität Opava.

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SCHLAGERTEXTE

Wie schreibt man einen Hit? Man braucht nur eine einfache Melodie und einen einfachen Text. Und schon tanzen

und singen die Partygäste mit. Welche Ingredienzen enthält ein Schlagertext? Es sind zum Beispiel: - Ein einfaches Thema, mit dem man sich leicht identifizieren kann. - Eine zentrale Emotion. - Ein zentraler Gegenstand als Symbol. - Ein unterhaltsames & humorvolles & phantastisches Motiv. - Der Refrain. - Worte, die in Bewegung umgesetzt werden können (fürs Mittanzen). - Einfachheit. Denn: „Weniger kann mehr sein.“

AUFGABE – SCHLAGERTEXTE

Lesen Sie den literarisch-ironischen Schlagertext von Hans Manz. Ist es ein typischer Schlagertext? Was spricht dafür, was dagegen?

Beschreiben Sie die formalen Merkmale des Textes. Schreiben Sie in Paararbeit einen Schlagertext zu einem eigenen Thema.

Vorschlag für einen Schlagertext I. Ich denke immer nur an dich, an dich, an dich. Ich träume immer nur von dir, von dir, von dir. Ich lebe immer nur für dich, für dich, für dich.

Ich denke immer nur an dich, Ich träume immer nur von dir. Ich lebe immer nur für dich: Mein eigenes Spiegelbild. II. Wir werden niemals auseinander gehen. Warum? Warum? Warum? Wir taten niemals beieinander stehen, wir haben uns im Leben nie gesehen. Darum! Darum! Darum!

Hans Manz

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POETISCHE TEXTE

„Die poetische Funktion projiziert Äquivalenzen von der Achse der Selektion an die Achse der Kombination.“

Roman Jakobson (1896–1982)

AUFGABE – POETISCHE TEXTE

Versuchen Sie, mit Hilfe des folgenden Schemas den Begriff der poetischen Funktion zu erklären.

Achse der Selektion

Er geht

Der Kleine läuft zum Postgebäude.

Achse Dein Bruder fährt zur Post. der Kombination

Peter eilt.

Mein Freund rennt zum Postamt.

Der Junge pilgert.

AUFGABE – POETISCHE TEXTE

Lesen Sie die folgende Fabel.

Der Fuchs und die Trauben An einem warmen Herbstabend ging der Fuchs am Weingarten vorbei, in dem herrliche, überreife Trauben hingen. Er schlich sich an einen Weinstock heran, stützte sich mit seinen Vorderpfoten gegen den Stamm, reckte seinen Körper empor und versuchte mit dem Mund ein paar Trauben zu erreichen. Aber sie hingen zu hoch. Verärgert versuchte er sein Glück noch einmal, doch er schnappte wieder ins Leere. Der Spatz und die Maus sahen seinem Treiben zu und machten sich über ihn lustig. Der Wolf biss die Zähne zusammen und meinte hochmütig: „Die Trauben sind nicht reif genug. Sie sind mir zu sauer.“

Geben Sie dem Text eine ausgeprägte poetische Gestalt, indem Sie viele Äquivalenzen ausnutzen. Formulieren Sie den Text neu:

- mit möglichst kurzen Sätzen - mit möglichst vielen Passivformen - mit möglichst vielen Zeitbestimmungen - mit möglichst vielen Ortsbestimmungen

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- mit möglichst vielen Ausrufesätzen - mit so vielen Zahlen wie möglich - mit möglichst vielen Adjektiven - ohne Adjektive - mit möglichst vielen Ausdrücken in direkter Rede

Schlagen Sie mehrere Titel für poetische Texte vor. Einige Beispiele:

- Ich - Freude - Pech - Angst - Zweifel - Science Fiction - Wintergedicht - Warnung - Nein - Es kommt oft anders, als man denkt - Es ist Jahre her - Eine Vision

Wählen Sie einen Titel und geben Sie ihrem Text eine poetische Gestalt:

- Sammeln Sie Assoziationen zu Ihrem Titel bzw. zu Ihrem Thema. - Bilden Sie aus Ihren Assoziationen möglichst viele Äquivalenzen. - Sortieren Sie die Äquivalenzen und ordnen Sie sie an. - Bestimmen Sie den Anfang und den Abschluss des Textes.

AUFGABE – POETISCHE TEXTE

Es folgen mehrere Beispiele der poetischen Texte, die auf Äquivalenzen gründen. Lesen Sie die Texte und identifizieren Sie die ihnen jeweils zugrunde liegende Äquivalenz oder Äquivalenzen.

KURT TUCHOLSKY Peter Panter . Theobald Tiger . Ignaz Wrobel

Kaspar Hauser

hasst: das Militär die Vereinsmeierei Rosenkohl den Mann, der immer in der Bahn die Zeitung mitliest Lärm und Geräusch ´Deutschland´

liebt: Knut Hamsun jeden tapfern Friedenssoldaten schön gespitzte Bleistifte Kampf die Haarfarbe der Frau, die er gerade liebt Deutschland

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Marie

wartet nicht auf: Unerwartbares Wunder Ufos Geldgewinn morgen dich

wartet auf: den Tischler den Anruf der Tochter die Eintrittskarten ins Theater das Catering Liebe Dich

Und warum nicht?

Jürgen Becker Weil anderswo alles von vorn anfängt. Weil mir der Rücken so wehtut. Weils regnet. Weil der Schaffner gesagt hat, das läuft auf dasselbe hinaus. Weil dus ja selber nicht willst. Weil ja doch keiner hinkommt. Weil es einfach nicht mehr zum Aushalten ist. Weil alles zu spät ist und nie einer was gesagt hat. Weil er nicht still gehalten hat. Weil dann endlich mal Ruhe ist. Weils vorläufig noch keiner weiß. Weil es sich herausgestellt hat, daß es so auch nicht geht. Weil du dich immer so blöd dabei anstellst. Weil es sich immer um dieselbe Sache dreht und weil es immer heißt, ja das wird sich schon ändern. Weil sich nie was geändert hat. Weil heute, nein, weil gestern schon kein Wort mehr darüber gefallen ist. Weil man heute nicht mehr einfach so dazwischenschlagen kann. Weil nichts los ist, wofür es sich lohnt. Weils wieder dieselben sind. Weil keiner mitmacht und weils stinkt. Weil kein Anlaß gegeben ist, dafür oder dagegen zu sein. Weil es mir wurscht ist. Weils immer noch regnet. Weil du sonst weg gehst. Weil es sowieso bald von selber aufhört.

Herbst

Ivan Wernisch Im Herbst ein Garten Im Garten ein Haus Im Haus ein Schrank Im Schrank ein Mantel In der Tasche eine Muschel. Im Meer ein Garten Im Garten ein Haus Im Haus ein Schrank Im Schrank ein Mantel In der Tasche eine Muschel Ein Garten im Meer Darin der Herbst

Übersetzung: Beatrice Kögel

Wo – vielleicht dort Jürgen Becker

wo vielleicht dort wohin mal sehen warum nur so was dann dann vielleicht da wie lange mal sehen mit wem nicht sicher wie nicht sicher wer mal sehen was noch sonst nichts

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Erziehung Uwe Timm

lass das komm sofort her bring das hin kannst du nicht hören hol das sofort her kannst du nicht verstehen sei ruhig fass das nicht an sitz ruhig nimm das nicht in den Mund schrei nicht stell das sofort wieder weg pass auf nimm die Finger weg sitz ruhig mach dich nicht schmutzig bring das sofort wieder zurück schmier dich nicht voll sei ruhig lass das wer nicht hören will muss fühlen

Heimweh

Helmut Heißenbüttel nach den Wolken über dem Garten in Papenburg nach dem kleinen Jungen der ich gewesen bin nach den schwarzen Torfschuppen im Moor nach dem Geruch der Landstraßen als ich 17 war nach dem Geruch der Kommissspinde als ich Soldat war nach der Fahrt mit meiner Mutter in die Stadt Leer nach den Frühlingsnachmittagen auf den Bahnsteigen der Kleinstädte nach den Spaziergängen mit Lilo Ahlendorf in Dresden nach dem Himmel eines Schneetags im November nach dem Gesicht Jeanne d´Arcs in dem Film von Dreyer nach den umgeschlagenen Kalenderblättern nach dem Geschrei der Möwen nach den schlaflosen Nächten nach den Geräuschen der schlaflosen Nächte nach den Geräuschen der schlaflosen Nächte

Studienplan für die Woche Am Sonntag machte ich den Studienplan für die nächste Woche Am Montag war ich dann mit Peter Fußball spielen Am Dienstag hatte ich einfach keine Lust Am Mittwoch ging ich ins Kino (mit T.!) Am Donnerstag kam Onkel Honza zu uns Am Freitag fing endlich das Wochenende an Am Samstag lud mich Filip zu seiner Geburtstagsparty ein Am Sonntag schlief ich bis Mittag und dann schrieb ich einen neuen Studienplan für die nächste Woche auf

Pepa

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Frühstück Jacques Prévert

Er goß den Kaffee In die Tasse Er goss die Milch in die Kaffeetasse Er gab Zucker In den Milchkaffee Mit dem kleinem Löffel rührte er um. Und trank ihn Er stellte die Tasse ab ohne ein Wort Er zündete eine Zigarette an er blies Ringe Aus Rauch Er streifte die Asche In den Aschenbecher Ohne ein Wort Ohne einen Blick Er setzte den Hut auf Er zog den Regenmantel an Denn es regnete Er ging Ohne ein Wort Ohne einen Blick Und ich Schlug die Hände vors Gesicht Und weinte.

Vergnügungen Bertolt Brecht Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen Das wiedergefundene alte Buch Begeisterte Gesichter Schnee, der Wechsel der Jahreszeiten Die Zeitung Der Hund Die Dialektik Duschen, Schwimmen Alte Musik Bequeme Schuhe Begreifen Neue Musik Schreiben, Pflanzen Reisen Singen Freundlich sein.

Lebensgeschichte in sechs Sätzen Als ich ein Jahr alt war, schrie und schrie ich. Als ich zwei war, konnte ich schon sprechen und laufen. Als ich sechs war, fuhr ich mit den Eltern ans Meer. Als ich zehn war, verliebte ich mich zum ersten Mal. Als ich 19 war, bekam ich ein Motorrad. Heute bin ich 20 und studiere an der Uni. Josi Für Ihre eigene Lebensgeschichte können Sie zum Beispiel folgendes Vokabular benutzen: Als ich X Jahre alt war, ...

- ..., dachte ich, dass... - ..., begann ich zu... - ..., lernte ich... - ..., musste ich..., - ..., konnte ich schon..., - ..., wollte ich... - ..., ...

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WENN ICH RAD FAHRE Wenn ich Rad fahre, bin ich frei. Wenn ich am Computer sitze, freue ich mich auf deine Mail. Wenn ich müde bin, lege ich mich ins Bett. Wenn ich im Garten arbeite, schwitze ich. Wenn ich im Garten sitze, träume ich. Wenn ich fernsehe, schimpfe ich. Wenn ich Rad fahre, bin ich frei.

Mirek Für Ihren eigenen Wenn-Text können Sie zum Beispiel folgende Impulse benutzen:

- Wenn ich Musik höre, ...; Wenn ich Blumen gieße, ...; Wenn ich in die Schule gehe, ...; Wenn ich aus der Schule nach Hause komme, ...; Wenn es zum Mittagessen Palatschinken gibt, ...

- aufwachen – mit Freunden ausgehen – über ... nachdendenken – an ... denken – etw. sehen

- glücklich – traurig – froh – zufrieden – begeistert – verärgert – beeindruckt – beunruhigt –

nervös – entspannt sein...

Was der Mensch so braucht Der Mensch braucht einen Tisch, einen Stuhl, ein Bett. Der Mensch braucht ein Dach über dem Kopf, ein Zuhause. Der Mensch braucht viel Essen und Trinken. Der Mensch braucht die Fernsehnachrichten. Der Mensch braucht eine Gitarre. Der Mensch braucht einen anderen Menschen – zum Streiten, Plaudern und Singen miteinander.

Pavel Alternativen: Was das Kind so braucht, Was der Kranke so braucht, Was der Verliebte so braucht...

wonach der Samstag duftet nach heißem Kaffee nach frischen Brötchen nach Tomaten und Gurken vom Markt nach der Hefeknödelsuppe meiner Mutter nach dem defekten Staubsaugerfilter nach dem Nagellackentferner meiner Schwester nach der gebügelten Wäsche nach dem gelüfteten Wohnzimmer und irgendwann nach Feierabend Petra Alternativen: Worauf ich mich freue, Wovor ich Angst habe, Wofür ich mich interessiere...

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Mein Freund Heute ist mein Freund zu Hause. Er hat einen wunden Fuß. Deshalb sitzt er am Computer. Bald schreibt er mir eine Mail. Dann freut er sich auf meine Antwort.

Zuzana Äquivalenz: Verb in Zweitstellung

Umzug Es wird bald viel geordnet, viel eingepackt und viel getragen. Dann wird wieder neu geordnet, alles ausgepackt und schön gemacht. Endlich wird viel gegessen, viel getrunken, auch viel gesungen am neuen schönen Ort.

Olga Scheibler

AUFGABE – ÄQUIVALENZEN

Wählen Sie eine beliebige grammatische oder lexikalische Äquivalenz aus und schreiben Sie auf dieser Grundlage einen kurzen Text.

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3. Schreiben einer Kurzgeschichte Wie lang ist eine Kurzgeschichte? Die Länge der Kurzgeschichte beläuft sich auf ungefähr eine bis zwanzig Seiten. Das Merkmal „kurz“ besteht unter anderem darin, dass die Geschichte in einem Durchgang gelesen werden kann.

Manchmal wird zwischen den pointierten Kurzgeschichten und den Slice-of-life-Geschichten unterschieden. Während in den ersteren die Komplikation eine starke Rolle spielt, will der Autor der Slice-of-life-Geschichten Einblick in den Alltag seiner Protagonisten gewähren.

EINIGE REGELN

Es gibt viele Anleitungen, Empfehlungen und Regeln zum Schreiben von Kurzgeschichten, von denen einge nützlich sein können. Lesen und beurteilen Sie sie. 1) Am wichtigsten ist eine zündende Idee, ein interessantes Sujet, ein anregendes Thema. Die Geschichte kann phantastisch, visionär, metaphorisch sein und als solche Irritationen hervorrufen. Aber auch dann sollte sie jedoch nachvollziehbar und überzeugend sein und Denkanstöße liefern. 2) Große Aufmerksamkeit sollte der Autor den Überlegungen über den Aufbau der Geschichte, über die Komposition widmen. Das Niederschreiben wird von erfahrenen Autoren für relativ einfach gehalten. 3) Wenn man keine Idee hat, muss man den Menschen zuhören, das Geschehen in der Umgebung beobachten, im Archiv suchen... 4) Die klassische Geschichte mit Komplikation hat folgende Teile: Orientierung in der Situation (10–15%), Entstehung und Verlauf der Komplikation (50–80%), Auflösung der Komplikation im Schluss (10–35%). 5) Die klassische Geschichte mit Komplikation beginnt am besten mit einer Situation (Bernd sitzt in der Bar.), nicht mit einer langwierigen Einführung (Bernd verlässt das Haus, geht die Hauptstraße entlang, betritt eine Bar und setzt sich auf den Hocker.). 6) Nur diejenigen Informationen über Personen, ihre Umwelt, ihre Charaktere sind relevant, die im Verstehen des Geschehens eine Rolle spielen. Jede Information soll mit einem wichtigen Sachverhalt zusammenhängen, sonst ist sie überflüssig. Keine Information darf zweimal kommen. 7) Die Charaktere und die Beziehungen kommen am besten in der Handlung der Personen zum Ausdruck. Am interessantesten sind ausgeprägte Charaktere bzw. extreme Gegenspieler. Durchschnitt ist uninteressant. Die Motivation der Gestalten muss stark sein. 8) Die Geschichte stellt keine Realität dar. Sie vermittelt eine illusive Fiktion und stellt die Realität so dar, wie sie sein könnte. 9) Im Interesse der Geschlossenheit und der Spannung kann das „Zeitschloss“ als Helfer herangezogen werden: In der Geschichte gibt es ein Zeit-Limit, zum Beispiel: „die Explosion ereignet sich in einer Stunde“, „die Wahlen finden schon morgen statt“... 10) Im Leben ereignet sich eine Sache nach der anderen. In der Geschichte ereignet sich eine Sache aufgrund einer anderen. Jede Gestalt hat ihre Logik, jede Aktion hat ihre Reaktion, jede Ursache hat ihre Folge, jede Beschreibung hat ihren Grund. 11) Die direkte Rede und die Handlung der Personen ist interessanter als Beschreibung. Aber: es sollte sorgfältig getestet werden, 1) ob das, was die Gestalt sagt, gesagt werden muss, und 2) ob das nicht mit weniger Worten gesagt werden kann.

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12) In „vertikalen“ Geschichten stehen im Zentrum die Gestalten. Sie bestimmen das Geschehen. In „linearen“ Geschichten steht im Zentrum das Geschehen. Die Gestalten bestimmen es nicht. 13) In „offenen“ Geschichten weiß der Rezipient von Anfang an Bescheid über die Kräfteverteilung (wer wer ist). In „geschlossenen“ Geschichten erfährt der Rezipient alles nach und nach. 14) Der Rezipient identifiziert sich am besten mit Gestalten, die er sich vorstellen kann – im Hinblick auf ihre Profession, ihren Wohnort, ihr Alter usw.; auch die Umwelt ist ein wichtiger Faktor. 15) Im Hinblick auf den Schluss gibt es zwei Möglichkeiten. Die klassische Kurzgeschichte endet mit einer überraschenden Wende, mit einer emotionsgeladenen Pointe. Der Schluss korrespondiert mit früheren Anspielungen und spiegelt die gesamte Intention der Geschichte wider. In den Slice-of-life-Geschichten wird auf den dramatischen Schluss verzichtet.

Nach DOČEKALOVÁ (2006) und nach anderen Quellen.

AUFGABE – REGELN FÜR DAS SCHREIBEN EINER KURZGESCHICHTE

Lesen Sie die folgenden acht Kurzgeschichten. Welche der oben genannten Regeln, Ratschläge und Empfehlungen werden darin zur Geltung gebracht?

War es vielleicht ein Gespenst? An einem späten Nachmittag trafen sich im langen dunklen Flur einer Gemäldegalerie zwei Fremde. Mit leichtem Unbehagen in seiner Stimme sagte der erste: „Dieser Ort ist so finster. Glauben Sie an Gespenster?“ „Ich? Nein!“, antwortete der andere. „Sie vielleicht?“ „Ich schon.“, antwortete der erste und verflüchtigte sich.

George Loring Frost

Graham Greene (1904–1991) und die Kurzgeschichte Graham Greene hatte einem britischen Verleger einen Beitrag für eine Anthologie von Gespenstergeschichten versprochen, aber ihm wollte nichts einfallen. Der Ablieferungstermin kam immer näher, die Telegramme wurden immer dringender, und schließlich blieb Greene nichts Anderes übrig, als sich an die Arbeit zu machen. Bereits am darauf folgenden Tag hielt der Verleger einen dünnen Umschlag in den Händen, der nur zwei Blatt Papier enthielt. Auf dem ersten stand fein säuberlich: „Graham Greene: Die kürzeste Gespenstergeschichte der Welt“ und auf dem zweiten: „Neulich traf ich den Earl of Tyne. Er war in Begleitung seiner Witwe.“

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Die kürzeste Beziehungskiste aller Zeiten

„Entschuldigung, wenn ich Sie einfach anspreche, aber ich kann´s in 10 Minuten erklären. Die Sache ist die, dass ich Sie durchs Fenster gesehen habe und mich sofort in Sie verliebt. An sich kein Problem. Wir könnten eine Beziehung haben, uns lieben, die tollsten Nächte erleben, später heiraten und Kinder kriegen, Urlaub machen. Kurz: Den Himmel auf Erden. Aber ich muss ehrlich zu dir sein. Wer kann sagen, ob wir wirklich eins miteinander werden, verschmelzen mit dem Universum und aufblühen im ewigen Wahnsinn der Liebe? Oder ob wir vielleicht zweifeln werden, Bedenken könnten aufkeimen, Unverständnis oder gar Unmut, wir würden uns streiten und auseinander leben. Ich habe lange überlegt, aber es ist das Beste, wenn wir uns trennen. Bitte sei nicht traurig. Ich weiß, es ist hart, aber es ist das Beste für uns beide. Kopf hoch!“

Zwei Männer, ein Bild, ein Hammer Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm ja nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“

Nach Paul Watzlawick

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Story Jemand erzählt eine Geschichte, die sich in der Nähe von Stuttgart ereignet haben soll: – In einem kleinen Bauernhof lebte eine Frau, deren Mann, damals ein junger Soldat, während des Ersten Weltkrieges in russische Gefangenschaft kam. Da sie nach vielen Jahren immer noch mit der Rückkehr ihres Mannes rechnete, galt die Frau als verrückt; die Nachbarn erzählten sich, dass sie sein Bett immer wieder mit frischer Wäsche bezog, und obschon sie durchaus kein Zeichen von ihm hatte, war sie von der Überzeugung, dass er immer noch lebte, nicht abzubringen, zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, zwanzig Jahre. Dann kam der Zweite Weltkrieg. Die Frau überlebte ihn; in allen Dingen, die nicht ihren verschollenen Mann betrafen, wirkte sie durchaus vernünftig. An ihrem stillen, unausgesprochenen, nur durch ihr Verhalten bezeugten Wahn, dass ihr Mann eines Tages zurückkehren würde, änderte auch der Zweite

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Weltkrieg nichts. Wieder gab es Hunderttausende von Frauen, die auf ihre Männer aus Russland warteten, gläubig oder ungläubig. Unter den ersten, die wirklich wiederkehrten, war ein sehr alter Mann, den die Nachbarn, als er sich bei ihnen meldete, tatsächlich als den Mann jener Verrückten erkannten; er erkundigte sich, ob seine Frau noch lebte, und erfuhr, dass seine Frau nie an seinen Tod geglaubt hätte. Erst nach dieser Kundschaft wagte er es, sich dem Hause zu nähern. Die Nachbarn warteten bis zum anderen Morgen, ehe sie hinübergingen, um zu sehen und zu hören, wie die Frau mit dem unwahrscheinlichen Ereignis fertig würde. Man traf sie gänzlich in Ruhe, unverändert, wobei sich zeigte, dass sie von dem Mann, der gestern gekommen war, überhaupt nichts wusste. Sie glaubte ihren Nachbarn nicht ein Wort, bis die Nachforschungen ergaben, dass die Nachbarn sie nicht zum Narren hielten und dass sie, die achtundzwanzig Jahre lang an seine Rückkehr geglaubt, sich nicht verstiegen hatte; man fand seine Leiche in der Jauchengrube, die sich beim hinteren Eingang befindet.

Max Frisch (1911–1991)

Alles ist möglich (leicht geändert) Hartmut el Kurdi

1964 in Amman/Jordanien geboren

5 10 15

Ich habe nicht das geringste Verständnis für Menschen, die ihre Wohnung verlassen, ohne wenigstens drei Mal nachgesehen zu haben, ob der Herd auch wirklich aus ist. Und der Heizstrahler im Badezimmer. Und das Teelicht im Stövchen3. So leichtsinnig kann doch niemand sein! Es kann schließlich immer, ich betone: immer! etwas passieren.

Neulich fragte mich meine Freundin, ob ich wüsste, was das für eine komische CD sei, die sie bei sich in einem Aktenordner gefunden habe. Natürlich gehörte diese CD mir. Das habe sie sich schon gedacht, sagte die verwirrte Freundin, das sei an der Beschriftung zu erkennen gewesen, aber was, bitteschön, mache das Ding in ihrem Leitz-Ordner „Steuer 99“? Und dann musste ich ihr gestehen, dass ich in der fortwährenden Angst lebe, mein Computer könne explodieren. Und dass ich deswegen überall, an den unmöglichsten Orten, in fremden wie befreundeten Wohnungen, CDs hinlege. Mit Kopien meiner wichtigsten Textdateien. Denn was nützt es mir, wenn mein PC in die Luft fliegt und die einzige Sicherheits-CD sich in der Schublade meines Schreibtisches befindet? Vielleicht entstünde durch den Computercrash ein Schwelbrand im Sicherungskasten, der sich, wie es Schwelbrände nun mal an sich haben, zu einem veritablen Wohnungsbrand ausweitete – und schon wäre auch dieser Rettungsanker ein Opfer der Flammen! Dann schon lieber CDs rund um den Globus verteilen.

Ein Freund von mir, ein gewisser Herr Günther, hingegen behauptet, nie Kopien von

3 Untersetzer aus Porzellan oder Metall, auf dem Kaffee- oder Tee-Kannen bzw. -Tassen warmgehalten werden.

Von einem Teelicht darunter wir Wärme erzeugt. Verkleinerungsform zu dem niederdeutschen Stove (heizbarer Raum, Stube).

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Textdateien anzulegen. Er gehe immer auf volles Risiko! Außerdem habe er da eine Theorie: „Irgendwo dort oben“, und dabei zeigt er gerne mit einer parareligiösen Geste gen Himmel, gebe es eine Art Daten-All, in dem alle Dateien, die aus abgestürzten Computern verschwunden seien, frei umherschwirrten. Völlig schwerelos. Er selbst habe auch schon so manchen Text an dieses Daten-All verloren. Aber vielleicht sitze ja irgendwann irgendjemand an seinem Computer und tippe aus Versehen die Tastenkombination „Strg+F8+Einfg“ (o. ä.) – und schwupps, habe dieser Jemand auf einmal einen wildfremden Text auf seinem Bildschirm. Vielleicht einen Text, den er, Herr Günther, oder auch wer auch immer, vor zehn Jahren aus Versehen gelöscht habe. An den sich der Schreiben gar nicht mehr erinnere. Einen Text, der dort oben im Digital-Himmel nur seiner Reinkarnation harrte. Und das sei auch höchstgradig faszinierend... Hmh, vielleicht lautete die Theorie aber auch ganz anders. Ich hätte sie gleich notieren und eine Sicherheitskopie davon anlegen sollen.

Ein anderes Beispiel: Vor einiger Zeit fuhr ich mit meiner Freundin nach Dänemark. Da ich ungern das Land verlasse, ohne meinen halben Hausstand mitzunehmen, dauerte das Packen des Autos etwas länger. Diverse Bücherkisten, Erste-Hilfe-Koffer und natürlich Wechselgarderoben für jede Wetterlage und alle Eventualitäten mussten zum Reisegefährt geschleppt und darin verstaut werden. Das bedeutete ein eineinhalbstündiges Rein und Raus, Hin und Her, Kommen und Gehen, Holen und Bringen – und natürlich war meine Wohnungstür dabei durchgehend geöffnet. Nach cca. 200 km in Richtung Norden hatte ich plötzlich eine Vision: Vielleicht war ja die Katze meiner Nachbarn – wie schon so oft – blitzschnell und unbemerkt durch die offene Tür gehuscht und hatte sich unter meinem Sofa versteckt. Mir war sofort klar, was das bedeutete. Während ich also zwei Wochen an der dänischen Ostsee verbrachte, würde das arme Tier in meiner Wohnung zunächst alles vollscheißen und dann jämmerlich verdursten und verhungern. Bei meiner Heimkehr schlüge mir schon an der Autobahnausfahrt der stechende Verwesungsgeruch einer von Insektenlarven besiedelten Katzenleiche entgegen. Dieses Buttgereitsche4 Horrorszenario verfolgte mich bis hinter die deutsch-dänische Grenze, ach was: Tagelang verfolgte es mich! Als ich schon dachte, ich müsse meinen Urlaub abbrechen und nach Hause fahren, um die Katze vielleicht doch noch vor dem Verenden zu bewahren, ließ der Alpdruck langsam nach. Hatte ich nicht vor der Abfahrt noch einmal alle Zimmer inspiziert, nicht zuletzt, um zu überprüfen, ob auch alle elektrischen Geräte ausgeschaltet und entsteckert waren? Ich entspannte mich. Ich genoss das Leben. Ich aß dänische Hotdogs mit drei verschiedenen Soßen, eingelegten Gurkenscheiben und Trockenzwiebeln. Es ging mir gut. Bis wir uns wieder auf den Weg nach Deutschland machten.

Die letzten 100 km die Hölle zu nennen, würde dem grausamen Katzenzombiefilm, der in meinem Kopfkino ablief, auch nicht annähernd gerecht werden. Ich erwartete, direkt vor meiner Haustür von einem mobilen Einsatzkommando, bestehend aus Angestellten des Tierschutzvereins, der Seuchenpolizei und der Ethikkomission des

4 Jörg Buttgereit (*1963), deutscher Autor, Filmkritiker und -Regisseur. Er hat sich besonders im deutschen

Horrorfilmgenre einen Namen gemacht. 5 Quietschfidel: lustig, sorglos.

6 Hallodri: eine in Süddetschland und Österreich gebräuchliche umgangssprachliche Bezeichnung für einen

leichtfüßigen, lockeren, unberechenbaren Menschen. Synonym für Tunichtgut, Taugenichts.

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Bundeskanzlers, verhaftet und in Ketten abgeführt zu werden. Natürlich lag in meiner Wohnung keine Tierleiche. Und natürlich tollte die Katze übermütig und quietschfidel5 im Garten umher. Aber, und darauf bestehe ich, ihr oberflächlichen, optimistischen Easy-Living-Hallodris6: Es hätte doch wirklich sein können!

Einladung zum Lunch

William Somerset Maugham (1874–1965)

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Ich erblickte sie im Theater. Sie winkte mir zu und so ging ich in der Pause hin und setzte mich zu ihr. Es war lange her, wo wir uns getroffen haben, und, wenn jemand ihren Namen nicht genannt hätte, hätte ich sie kaum erkannt. Sie lächelte mich an. „Erinnern Sie sich noch, wie wir uns getroffen haben? Wie die Zeit vergeht. Keiner von uns ist jünger geworden. Erinnern Sie sich, wie wir uns zum ersten Mal gesehen haben? Sie haben mich zum Lunch eingeladen.“

Und ob ich mich erinnerte!

Es war vor zwanzig Jahren. Ich lebte damals in Paris, in einem kleinen Appartement im Quartier Latin, mit Aussicht auf den Friedhof, und verdiente gerade so viel, um Körper und Seele bei einander zu halten. Sie las mein Buch und schrieb mir davon. Ich bedankte mich und umgehend bekam ich einen zweiten Brief von ihr, in dem sie schrieb, sie reise durch Paris und würde sich gern mit mir unterhalten; aber sie habe ein volles Programm und nur zwei Stunden Zeit, am kommenden Donnerstag. Sie verbringe den Vormittag in den Luxemburgischen Gärten und – könne ich sie dann vielleicht zu einem kleinen Lunch bei Foyot´s einladen? Foyot´s ist ein Restaurant, in dem die französischen Senatoren speisen, so fern ab von meinen Verhältnissen, dass es mir nie eingefallen wäre hinzugehen. Aber ich fühlte mich geschmeichelt und außerdem war ich zu jung, als dass ich gelernt hätte einer Frau „nein“ zu sagen. Ich hatte achtzig Franken bis zum Monatsende und ein bescheidenes Mittagessen konnte nicht mehr als fünfzehn kosten. Wenn ich in den nächsten zwei drei Wochen auf Kaffee verzichte, komme ich gut aus.

Ich antwortete, dass ich mich mit meiner Freundin gern treffen würde – bei Foyot´s um halb eins. Sie war nicht so jung, wie ich sie mir vorgestellt hätte, und ihre Erscheinung war eher imposant als attraktiv. Auch schien es mir, sie hatte mehr Zähne, weiße und große Zähne, als wie viel für irgendeinen praktischen Zweck notwendig wären. Sie war gesprächig und, weil sie dabei war, über mich zu sprechen, wollte ich ein aufmerksamer Zuhörer sein.

Ich erschrak, als die Speisekarte gebracht wurde, denn die Preise waren weit höher, als ich gedacht hätte. Sie beruhigte mich jedoch.

„Ich esse nie was zu Mittag“, sagte sie. „Ah, sagen Sie das doch nicht“, antwortete ich entschieden. „Ich esse nie mehr als eine Sache. Ich denke, die Menschen essen heute viel zu viel.

Ein bisschen Fisch vielleicht. Es würde mich interessieren, ob sie Lachs haben.“

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Eigentlich war es zu früh im Jahr für Lachs und er stand nicht auf der Speisekarte, aber ich fragte den Kellner, ob sie welchen hätten. Ja, einen wunderschönen Lachs hätten sie gerade bekommen, den ersten in diesem Jahr. Ich bestellte ihn für meinen Gast. Der Kellner fragte sie, ob sie etwas bekommen möchte, während der Lachs zubereitet würde.

„Nein“, sagte sie, „ich esse nie mehr als eine Sache. Es sei denn, sie haben Kaviar. Kaviar macht mir nichts aus.“

Mein Herz sank etwas. Ich wusste, dass ich mir Kaviar nicht leisten konnte, aber ich konnte es ihr schlecht sagen. Für mich wählte ich das billigste Menü auf der Speisekarte und das war Hammelkottelett.

„Das ist nicht vernünftig von Ihnen“, sagte sie, „ich weiß nicht, wie Sie dann arbeiten können, nachdem sie so schwere Sachen gegessen haben. Sie überladen sich doch nur den Magen.“

Dann wurde die Frage der Getränke gestellt. „Ich trinke nie was zu Mittag“, sagte sie. „Ich auch nicht“, sagte ich prompt. „Außer Weißwein“, setzte sie fort, als ob sie mich nicht gehört hätte. „Diese

französischen Weine sind so leicht. Sie sind wunderbar für die Verdauung.“ „Was wollen Sie?“ fragte ich immer noch gastfreundlich, aber nicht übertrieben. Ihre weißen Zähne blitzten mich freundlich an. „Mein Arzt erlaubt mir nur Champagner.“ Ich spürte, dass ich blass wurde. Ich bestellte eine halbe Flasche. Ich betonte

nachdrücklich, dass mein Arzt mir Champagner strikt verboten hatte. „Was werden Sie denn trinken?“ „Wasser.“ Sie aß den Kaviar und sie aß den Lachs. Sie sprach begeistert über Kunst, Literatur

und Musik. Und ich stellte mir vor, wie hoch die Rechnung sein würde. Als mein Hammel kam, begann sie mir ernsthaft ins Gewissen einzureden.

„Ich sehe, Sie haben die Gewohnheit, zu schwer zu essen. Ich bin mir sicher, das ist ein Fehler. Warum folgen Sie nicht meinem Beispiel und essen nicht nur eine Sache. Sie würden sich dann bestimmt besser fühlen.“

„Ich werde nicht mehr als eine Sache essen“, sagte ich, als der Kellner wieder mit der Speisekarte kam.

Sie winkte ihn mit einer leichten Geste ab. „Nein, nein, ich esse nie was zu Mittag. Nur ein bisschen, mehr wegen der

Gesellschaft als wegen sonst was. Ich kann unmöglich noch was essen, es sei denn, sie hätten welche von diesen Riesenspargeln. Es wäre Schade, Paris zu verlassen, ohne die gekostet zu haben.“

Mein Herz sank noch tiefer. Ich hatte sie im Gemüseladen gesehen und wusste, sie waren schrecklich teuer. Bei ihrem Anblick hatte ich immer Wasser im Mund.

„Madame möchte wissen, ob Sie diese Riesenspargel haben“, sagte ich zum Kellner. Gleichzeitig suggerierte ich ihm mit meiner ganzen Willenskraft, er solle NEIN sagen. Ein glückliches Lächeln erstrahlte auf seinem breiten priesterlichen Gesicht und er versicherte mir, sie hätten welche, so herrlich, so zart, einfach ein Wunder.

„Ich bin überhaupt nicht hungrig“, seufzte mein Gast, „aber wenn Sie darauf

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bestehen, kann ich welche essen.“ Ich bestellte sie. „Und Sie, wollen Sie auch welche?“ „Nein, Spargel esse ich nie.“ „Ich weiß, dass es Leute gibt, die Spargel nicht mögen. Und dann liegt es auf der

Hand, dass Sie sich den Geschmack ruinieren, mit dem ganzen Fleisch.“ Wir warteten, bis der Spargel zubereitet wurde. Ich war in Panik. Es war nicht mehr

die Frage, wieviel Geld mir bis zum Monatsende übrig bleiben würde, sondern ob ich genug hätte, um die Rechnung zu bezahlen. Es wäre peinlich, festzustellen, dass ich zehn Frank weniger habe und mir das Geld von meinem Gast borgen muss. Wie könnte ich das übers Herz bringen? Ich wusste genau, wie viel ich hatte, und, wenn die Rechnung zu groß wäre, könnte ich in die Tasche greifen und mit einem dramatischen Schrei aufstehen und sagen, dass ich bestohlen wurde. Jawohl, es wäre ungeschickt, wenn auch sie dann nicht genug hätte, um die Rechnung zu bezahlen. Dann müsste ich meine Uhr hergeben und versichern, ich werde die Rechnung später bezahlen.

Die Spargel kamen. Sie waren riesig, saftig, verlockend. Ich beobachtete die schreckliche Frau, wie sie sie in ihre Mundhöhle reinstopfte und runterschlang, und plauderte inzwischen geistreich mit ihr über die Entwicklung des Dramas auf dem Balkan. Dann war sie fertig.

„Kaffee?“ sagte ich. „Ja, nur ein Eis und Kaffee“, antwortete sie. Mir war es schon egal, so bestellte ich Kaffee für mich und Eis und Kaffee für sie. „Wissen Sie, von einer Sache bin ich ganz fest überzeugt“, sagte sie, als sie ihr Eis

bekam, „man sollte mit dem Essen aufhören, wenn man das Gefühl hat, man könnte noch etwas mehr essen.“

„Sind Sie noch hungrig?“ fragte ich halb ohnmächtig. „Oh nein, ich bin nicht hungrig. Wissen Sie, ich esse nie zu Mittag. Eine Tasse Kaffee

in der Frühe und dann esse ich erst zu Abend, zu Mittag nur eine Sache, ich spreche ja von Ihnen.“

„Ach so!“ Und dann passierte etwas Schreckliches. Während wir auf den Kaffee warteten,

kam der Oberkellner mit einem zuvorkommenden Lächeln in seinem falschen Gesicht auf uns zu – mit einem Korb voller Pfirsiche. Sie waren rosig wie die Wangen eines unschuldigen Mädchens und hatten den vollen Ton einer sommerlichen italienischen Landschaft. Allerdings, für Pfirsiche war es nicht die Saison. Nur der liebe Gott wusste, was sie kosteten. Ich wusste es auch, nur etwas später, denn mein Gast angelte sich im Gespräch zerstreut einen.

„Sehen Sie, Sie haben sich den Magen mit so viel Fleisch überladen“ – mein einziges kleines mieses Kotelett! – „und jetzt können Sie nichts mehr essen. Ich aber habe nur ganz wenig gegessen und kann jetzt einen Pfirsich kosten.“

Die Rechnung kam und, als ich bezahlte, sah ich, dass mir nur für ein ganz kleines Trinkgeld übrig blieb. Sie blickte auf die zwei Frank, die ich für den Kellner hinlegte, und mir war klar, dass sie mich für geizig hielt. Ich verließ aber das Restaurant, hatte den ganzen Monat vor mir und keinen einzigen Pfennig in der Tasche.

„Folgen Sie meinem Beispiel“, sagte sie, als wir uns die Hände schüttelten, „und

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essen Sie nicht mehr als eine Sache zu Mittag.“ „Ich werde etwas noch Besseres tun“, erwiderte ich, „ich werde heute Abend nicht

dinieren.“ „Humorist!“ rief sie belustigt und stieg in ihr Taxi. „Sie sind einfach ein Humorist.“ Aber zum Schluss habe ich doch meine Rache. Ich glaube nicht, dass ich ein

rachsüchtiger Mensch bin. Wenn sich jedoch sogar die unsterblichen Götter einmischen, ist es einem zu vergeben, dass man sich das Ergebnis mit Genugtuung ansieht. Heute wiegt sie zweihundertvierzig Pfund.

Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral

Heinrich Böll (1917–1985)

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In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich gekleideter Mann in seinem Fischerboot und döst. Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüne See mit friedlichen schneeweißen Wellenkämmen, schwarzes Boot, rote Fischermütze. Klick. Noch einmal: klick, und da aller guten Dinge drei sind und sicher sicher ist, ein drittes Mal: klick. Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösenden Fischer, der sich schläfrig aufrichtet, schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt; aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vor die Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt, aber in die Hand gelegt, und ein viertes Klick, das des Feuerzeuges, schließt die eilfertige Höflichkeit ab. Durch jenes kaum messbare, nie nachweisbare Zuviel an flinker Höflichkeit ist eine gereizte Verlegenheit entstanden, die der Tourist - der Landessprache mächtig - durch ein Gespräch zu überbrücken versucht.

„Sie werden heute einen guten Fang machen.“ Kopfschütteln des Fischers. „Aber man hat mir gesagt, dass das Wetter günstig ist.“ Kopfnicken des Fischers. „Sie werden also nicht ausfahren?“ Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen. Gewiss liegt ihm das

Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpasste Gelegenheit. „Oh, sie fühlen sich nicht wohl?“

Endlich geht der Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über. „Ich fühle mich großartig“, sagt er. „Ich habe mich nie besser gefühlt.“

Er steht auf, reckt sich, als wolle er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. „Ich fühle mich phantastisch.“

Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht: „Aber warum fahren Sie dann nicht aus?“

Die Antwort kommt prompt und knapp. „Weil ich heute morgen schon ausgefahren bin.“

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„War der Fang gut?“ „Er war so gut, dass ich nicht noch einmal auszufahren brauche, ich habe vier

Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen...“ Der Fischer, endlich erwacht, taut jetzt auf und klopft dem Touristen beruhigend auf

die Schultern. Dessen besorgter Gesichtsausdruck erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender Kümmernis.

„Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug“, sagt er, um des Fremden Seele zu erleichtern. „Rauchen Sie eine von meinen?“

„Ja, danke.“ Zigaretten werden in Münder gesteckt, ein fünftes Klick, der Fremde setzt sich

kopfschüttelnd auf den Bootsrand, legt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen.

„Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mischen“, sagt er, „aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus und Sie würden drei, vier, fünf, vielleicht gar zehn Dutzend Makrelen fangen... stellen Sie sich das mal vor.“

Der Fischer nickt. „Sie würden“, fährt der Tourist fort, „nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen,

ja, an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht viermal ausfahren - wissen Sie, was geschehen würde.“

Der Fischer schüttelt den Kopf. „Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei

Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten oder dem Kutter würden Sie natürlich viel mehr fangen - eines Tages würden Sie zwei Kutter haben, Sie würden...“, die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme, „Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenen Hubschrauber rund fliegen, die Fischschwärme ausmachen und Ihren Kuttern per Funk Anweisungen geben. Sie könnten die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren - und dann...“, wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache. Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich hereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen. „Und dann“, sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.

Der Fischer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das sich verschluckt hat. „Was dann?“ fragt er leise.

„Dann“, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, „dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrliche Meer blicken.“

„Aber das tu ich ja schon jetzt“, sagt der Fischer, „ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.“

______ Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein wenig Neid.

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TITEL & ANFANG & SCHLUSS

Lesen Sie die folgenden vier Zusammenstellungen von Titel, Anfang und Schluss des Erzähltextes.

1. Konfrontieren Sie diese drei vorhandenen Fragmente und rekapitulieren Sie die bekannten Tatsachen.

2. Welches Wissen fehlt? Versuchen Sie die Leerstellen zu überbrücken. Formulieren Sie Fragen, deren Beantwortung die Vorstellung von der ganzen Geschichte erleichtern würde.

3. Stellen Sie Hypothesen über Entstehung, Charakter und Verlauf der Komplikation auf. (Titel) Im alten China (Anfang) Es war vor vielen, vielen Jahren im alten China. Einmal kam ein Fremder mit seiner Frau nach Peking. Er ging am Abend durch die Straßen der Stadt. Da sah er, dass vor einigen Häusern bunte Papierlaternen brannten – hier wenige, dort viele. Er fragte einen alten Mann: „Was bedeuten diese Papierlaternen? Wer wohnt in diesen Häusern?“ Der Alte antwortete: „In diesen Häusern wohnen Ärzte. Jede Laterne vor der Tür eines Arztes bedeutet, dass ein Patient dieses Arztes gestorben ist. Unser Gesetzt befiehlt jedem Arzt, eine Laterne anzuzünden, wenn ein Patient stirbt.“ (Schluss) Der junge Arzt lächelte und antwortete: „Ach, mein Herr, ich habe erst gestern meine Praxis eröffnet.“

Vgl. http://projekty.osu.cz/tipp/22c.html. (Titel) Ein Ehepaar erzählt einen Witz (Anfang) „Herr Panter, wir haben gestern einen so reizenden Witz gehört, den müssen wir Ihnen ... also den muss ich Ihnen erzählen. Mein Mann kannte ihn schon ... aber er ist zu reizend. Also passen Sie auf. Ein Mann, Walter, streu nicht den Tabak auf den Teppich, da! Streust ja den ganzen Tabak auf den Teppich, also ein Mann, nein, ein Wanderer verirrt sich im Gebirge...“ (Schluss) Jetzt sitze ich da mit dem halben Witz. Was hat nur die junge Bauersfrau zu dem Wanderer gesagt?

Vgl. http://www.textlog.de/tucholsky-ehepaar-witz.html. (Titel) Geteiltes Leid ist halbes Leid (Anfang) Der Einbrecher stieg rasch durch das geöffnete Fenster ein und nahm sich dann Zeit. Ein Einbrecher, der sein Handwerk achtet, nimmt sich immer Zeit, ehe er etwas anderes nimmt. Er trug weder eine Maske noch eine Blendlaterne, noch Gummihandschuhe. Er trug nur eine Neun-Millimeter-Pistole in seiner Tasche und kaute nachdenklich einen Pfefferminz-Kaugummi. Es war eine Privatvilla. Der Einbrecher öffnete leise die Tür zu dem schwach erleuchteten Zimmer. Im Bett lag ein Mann. Er stieß ein Stöhnen aus und öffnete weit seine Augen. „Nehmen Sie beide Hände hoch“, kommandierte der Einbrecher. (Schluss) Als sie durch die Türe hinausgingen, drehte sich der Mann um. „Ich habe mein Geld vergessen“, erklärte er. Der Einbrecher hielt ihn an seinem rechten Ärmel fest und sagte: „Kommen Sie! Lassen Sie es nur. Ich habe Sie eingeladen. Diesmal geht es auf meine Rechnung.“

Aus O. Henry. Hinter der grünen Tür. München: List, 1955.

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(Titel) Betty (Anfang) „Willst du mir wirklich nicht die Hand geben?“, fragte der Stationsarzt schon zum dritten Mal, aber das Kind rührte sich nicht. Er wusste nicht, was mit ihm anfangen. „Na ja“, sagte er, und nochmals „na ja“. Dann wandte er sich plötzlich um. „Das ist doch etwas für Sie!“ Die junge Ärztin sah ihn fragend an. „Sie sind doch eine Frau! Sie wissen besser mit Kindern umzugehen. Versuchen Sie ihr Glück. Ich wünsche Ihnen alles Gute dabei.“ So ging denn Anita zur Mutter des Kindes. „Seit wann spricht Betty nicht mehr?“ (Schluss) Aus Anitas Brust rang sich ein Seufzer der Erleichterung. „Betty ist genesen“, sagte sie.

Aus Natalie Anthes. Ein Stück Speck für Frau Doktor. Reinbek: Rowohlt, 1986.

AUFBAU UND KOMPLIKATION

Es folgen fünf Erzähltexte. - Hans im Glück - Kalibrieren Sie sich! - Deutsch für Gastarbeiter - Gibs auf - Es gibt nur eine Sprache

Lesen Sie jeden Text zwei Mal. Versuchen Sie dann folgende Fragen zu beantworten: 1) Welche Texte haben einen einfachen linearen Verlauf – zum Beispiel im Hinblick auf

Chronologie, Handlungsorte, Erzählperspektive? 2) Welche Texte haben einen Rahmen? Wodurch unterscheidet sich der Rahmen von der

Orientierung? 3) Identifizieren Sie den Orientierungsteil. 4) Identifizieren Sie den Anfang der Komplikation und den Moment der Auflösung der

Komplikation. 5) Wie ausgeprägt bzw. stark ist die Komplikation? Charakterisieren Sie Ihre Stärke mittels

einer Skala zwischen den Polen Leben/Tod & Missverständnis/Witz: Leben-Tod Missverständnis/Witz 6) Wie verläuft die Komplikation? Wie ist sie aufgebaut? Wo gipfelt sie? An welchen Stellen

entsteht Spannung? Wo entsteht die größte Spannung? 7) Welchen Aufbau hat die Auflösung? Tritt sie übergangslos bzw. plötzlich ein oder wird sie

vorbereitet bzw. kann sie vorausgeahnt werden?

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Hans im Glück

Brüder Grimm Hans hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient, da sprach er zu ihm:

„Herr, meine Zeit ist herum, nun wollte ich gerne wieder heim zu meiner Mutter, gebt mir meinen Lohn.“

Der Herr antwortete „du hast mir treu und ehrlich gedient, wie der Dienst war, so soll der Lohn sein“, und gab ihm ein Stück Gold, das so groß als Hansens Kopf war.

Hans zog ein Tüchlein aus der Tasche, wickelte den Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich auf den Weg nach Haus. Wie er so dahinging und immer ein Bein vor das andere setzte, kam ihm ein Reiter in die Augen, der frisch und fröhlich auf einem muntern Pferd vorbeitrabte.

„Ach“, sprach Hans ganz laut, „was ist das Reiten ein schönes Ding! – da sitzt einer wie auf einem Stuhl, stößt sich an keinen Stein, spart die Schuh, und kommt fort, er weiß nicht wie.“

Der Reiter, der das gehört hatte, hielt an und rief: „Ei, Hans, warum läufst du auch zu Fuß?“

„Ich muss ja wohl“, antwortete er, „da habe ich einen Klumpen heim zu tragen: es ist zwar Gold, aber ich kann den Kopf dabei nicht gerad halten, auch drückt mirs auf die Schulter.“

„Weißt du was“, sagte der Reiter, „wir wollen tauschen: Ich gebe dir mein Pferd, und du gibst mir deinen Klumpen.“

„Von Herzen gern“, sprach Hans, „aber ich sage Euch, Ihr müsst Euch damit schleppen.“

Der Reiter stieg ab, nahm das Gold und half dem Hans hinauf, gab ihm die Zügel fest in die Hände und sprach: „Wenns nun recht geschwind soll gehen, so musst du mit der Zunge schnalzen und hopp hopp rufen.“

Hans war seelenfroh, als er auf dem Pferde saß und so frank und frei dahin ritt. Über ein Weilchen fiels ihm ein, es sollte noch schneller gehen, und fing an mit der Zunge zu schnalzen und hopp hopp zu rufen.

Das Pferd setzte sich in starken Trab, und ehe sichs Hans versah, war er abgeworfen und lag in einem Graben, der die Äcker von der Landstraße trennte. Das Pferd wäre auch durchgegangen, wenn es nicht ein Bauer aufgehalten hätte, der des Weges kam und eine Kuh vor sich hertrieb. Hans suchte seine Glieder zusammen und machte sich wieder auf die Beine.

Er war aber verdrießlich und sprach zu dem Bauer: „Es ist ein schlechter Spaß, das Reiten, zumal, wenn man auf so eine Mähre gerät, wie diese, die stößt und einen hinunter wirft, dass man den Hals brechen kann; ich setze mich nun und nimmermehr wieder auf. Da lob ich mir Eure Kuh, der kann einer mit Gemächlichkeit hinterhergehen, und hat obendrein seine Milch, Butter und Käse jeden Tag gewiss. Was gäb ich darum, wenn ich so eine Kuh hätte!“

„Nun“, sprach der Bauer, „geschieht Euch so ein großer Gefallen, so will ich Euch wohl die Kuh für das Pferd vertauschen.“

Hans willigte mit tausend Freuden ein. Der Bauer schwang sich aufs Pferd und ritt eilig davon.

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Hans trieb seine Kuh ruhig vor sich her und bedachte den glücklichen Handel. „Hab ich nur ein Stück Brot, und daran wird mirs noch nicht fehlen, so kann ich, sooft mirs beliebe, Butter und Käse dazu essen. Hab ich Durst, so melk ich meine Kuh und trinke Milch. Herz, was verlangst du mehr?“

Als er zu einem Wirtshaus kam, machte er halt, aß in der großen Freude alles, was er bei sich hatte, sein Mittags- und Abendbrot, rein auf, und ließ sich für seine letzten paar Heller ein halbes Glas Bier einschenken.

Dann trieb er seine Kuh weiter, immer nach dem Dorfe seiner Mutter zu. Die Hitze ward drückender, je näher der Mittag kam, und Hans befand sich in einer Heide, die wohl noch eine Stunde dauerte. Da ward es ihm ganz heiß, so dass ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebte.

„Dem Ding ist zu helfen“, dachte Hans, „jetzt will ich meine Kuh melken und mich an der Milch laben.“

Er band sie an einen dürren Baum, und da er keinen Eimer hatte, so stellte er seine Ledermütze unter, aber wie er sich auch bemühte, es kam kein Tropfen Milch zum Vorschein. Und weil er sich ungeschickt dabei anstellte, so gab ihm das ungeduldige Tier endlich mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor den Kopf, dass er zu Boden taumelte und eine Zeitlang sich gar nicht besinnen konnte, wo er war.

Glücklicherweise kam gerade ein Metzger des Weges, der auf einem Schuhkarren ein junges Schwein liegen hatte.

„Was sind das für Streiche!“, rief er und half dem guten Hans auf. Hans erzählte, was vorgefallen war. Der Metzger reichte ihm seine Flasche und sprach: „Da trinkt einmal und erholt Euch. Die Kuh will wohl keine Milch geben, das ist ein altes Tier, das höchstens noch zum Ziehen taugt oder zum Schlachten.“

„Ei, ei“, sprach Hans und strich sich die Haare über den Kopf, „wer hätte das gedacht! Es ist freilich gut, wenn man so ein Tier ins Haus abschlachten kann, was gibts für Fleisch! Aber ich mache mir aus dem Kuhfleisch nicht viel, es ist mir nicht saftig genug. Ja, wer so ein junges Schwein hätte! Das schmeckt anders, dabei noch die Würste.“

„Hört, Hans“, sprach da der Metzger, „Euch zuliebe will ich tauschen und will Euch das Schwein für die Kuh lassen.“

„Gott lohn Euch Eure Freundschaft“, sprach Hans, übergab ihm die Kuh, ließ sich das Schweinchen vom Karren losmachen und den Strick, woran es gebunden war, in die Hand geben.

Hans zog weiter und überdachte, wie ihm doch alles nach Wunsch ginge, begegnete ihm ja eine Verdrießlichkeit, so würde sie doch gleich wieder gutgemacht. Es gesellte sich danach ein Bursch zu ihm, der trug eine schöne weiße Gans unter dem Arm. Sie boten einander die Zeit, und Hans fing an, von seinem Glück zu erzählen, und wie er immer so vorteilhaft getauscht hätte. Der Bursch erzählte ihm, dass er die Gans zu einem Kindtaufschmaus brächte.

„Hebt einmal“, fuhr er fort und packte sie bei den Flügeln, „wie schwer sie ist, die ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden. Wer in den Braten beißt, muss sich das Fett von beiden Seiten abwischen.“

„Ja“, sprach Hans, und wog sie mit der einen Hand, „die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist auch keine Sau.“ Indessen sah sich der Bursch nach allen Seiten ganz

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bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem Kopf. „Hört“, fing er darauf an, „mit Eurem Schweine mags nicht ganz richtig sein. In

dem Dorfe, durch das ich gekommen bin, ist eben dem Schulzen eins aus dem Stall gestohlen worden. Ich fürchte, ich fürchte, Ihr habts da in der Hand. Sie haben Leute ausgeschickt, und es wäre ein schlimmer Handel, wenn sie Euch mit dem Schwein erwischten: das Geringste ist, dass Ihr ins finstere Loch gesteckt werdet.“

Dem guten Hans ward bang. „Ach Gott“, sprach er, „helft mir aus der Not, Ihr wisst hier herum bessern Bescheid, nehmt mein Schwein da und lasst mir Eure Gans.“

„Ich muss schon etwas aufs Spiel setzen“, antwortete der Bursche, „aber ich will doch nicht schuld sein, dass Ihr ins Unglück geratet.“

Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einen Seitenweg fort. Der gute Hans aber ging, seiner Sorgen entledigt, mit der Gans unter dem Arme der Heimat zu.

„Wenn ichs recht überlege“, sprach er mit sich selbst, „habe ich noch Vorteil bei dem Tausch: erstlich den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die herausträufeln wird, das gibt Gänsefettbrot auf ein Vierteljahr, und endlich die schönen weißen Federn, die lass ich mir in mein Kopfkissen stopfen, und darauf will ich wohl ungewiegt einschlafen. Was wird meine Mutter eine Freude haben!“

Als er durch das letzte Dorf gekommen war, stand da ein Scherenschleifer mit seinem Karren, sein Rad schnurrte, und er sang dazu.

„Ich schleife die Schere und drehe geschwind, und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind.“

Hans blieb stehen und sah ihm zu; endlich redete er ihn an und sprach „Euch gehts wohl, weil Ihr so lustig bei Eurem Schleifen seid.“

„Ja“, antwortete der Scherenschleifer, „das Handwerk hat einen güldenen Boden. Ein rechter Schleifer ist ein Mann, der, sooft er in die Tasche greift, auch Geld darin findet. Aber wo habt Ihr die schöne Gans gekauft?“

„Die hab ich nicht gekauft, sondern für mein Schwein eingetauscht.“ „Und das Schwein?“ „Das hab ich für eine Kuh gekriegt.“ „Und die Kuh?“ „Die hab ich für ein Pferd bekommen.“ „Und das Pferd?“ „Dafür hab ich einen Klumpen Gold, so groß als mein Kopf, gegeben.“ „Und das Gold?“ „Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre Dienst.“ „Ihr habt Euch jederzeit zu helfen gewusst“, sprach der Schleifer, „könnt Ihrs nun

dahin bringen, dass Ihr das Geld in der Tasche springen hört, wenn Ihr aufsteht, so habt Ihr Euer Glück gemacht.“

„Wie soll ich das anfangen?“ sprach Hans. „Ihr müsst ein Schleifer werden wie ich. Dazu gehört eigentlich nichts als ein

Wetzstein, das andere findet sich schon von selbst. Da hab ich einen, der ist zwar ein wenig schadhaft, dafür sollt Ihr mir aber auch weiter nichts als Eure Gans geben. Wollt Ihr das?“

„Wie könnt Ihr noch fragen“, antwortete Hans, „ich werde ja zum glücklichsten

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Menschen auf Erden. Habe ich Geld, sooft ich in die Tasche greife, was brauche ich da länger zu sorgen?“ reichte ihm die Gans hin, und nahm den Wetzstein in Empfang.

„Nun“, sprach der Schleifer und hob einen gewöhnlichen schweren Feldstein, der neben ihm lag, auf, „da habt Ihr noch einen tüchtigen Stein dazu, auf dem sichs gut schlagen lässt und Ihr Eure alten Nägel gerade klopfen könnt. Nehmt ihn und hebt ihn ordentlich auf.“

Hans lud den Stein auf und ging mit vergnügtem Herzen weiter. Seine Augen leuchteten vor Freude. „Ich muss in einer Glückshaut geboren sein“, rief er aus. „Alles, was ich wünsche, trifft mir ein, wie einem Sonntagskind.“

Indessen, weil er seit Tagesanbruch auf den Beinen gewesen war, begann er müde zu werden. Auch plagte ihn der Hunger, da er allen Vorrat auf einmal in der Freude über die erhandelte Kuh aufgezehrt hatte. Er konnte endlich nur mit Mühe weitergehen und musste jeden Augenblick halt machen. Dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich. Da konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie gut es wäre, wenn er sie gerade jetzt nicht zu tragen brauchte.

Wie eine Schnecke kam er zu einem Feldbrunnen geschlichen, wollte da ruhen und sich mit einem frischen Trunk laben. Damit er aber die Steine im Niedersitzen nicht beschädigte, legte er sie bedächtig neben sich auf den Rand des Brunnens. Darauf setzte er sich nieder und wollte sich zum Trinken bücken, da versah ers, stieß ein klein wenig an, und beide Steine plumpten hinab.

Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art, und ohne dass er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm allein noch hinderlich gewesen wären.

„So glücklich wie ich“, rief er aus, „gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“ Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei

seiner Mutter war. Vgl. http://gutenberg.spiegel.de/buch/6248/76.

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Kalibrieren Sie sich! Es gibt unglaublich viele Lerntheorien. Sie alle wollen uns beibringen, wie man effektiv lernen kann. Die allerletzten – zum Beispiel die der Behaltenswerte oder die des Neurolinguistischen Programmierens – nahm ich letztendlich nur noch gelassen hin. Was man braucht, lernt man ja schon irgendwie.

Aber es zeigte sich neulich, dass es sich manchmal doch lohnen kann, neue Wege auszuprobieren. Ich absolvierte mein Studium in Bielefeld und wohnte dort mit vier weiteren Kommilitonen in einer Wohngemeinschaft. Einmal passierte es, dass wir von der Post ein neues Telefonbuch bekamen. Und von dem Tag an wurden wir auf einmal als jemand Anderer angerufen:

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„Hallo, hier ist Sibylle. Können Sie bitte Herrn Naumann ausrichten, ich kann heute nicht kommen? Dringende Privatsache. Am Samstag komme ich normal. Tschüüüß!“

„Mahlzeit. Sagen Sie bitte dem Chef, Herr Kratschmar muss sich mit ihm wegen dem Turnier unbedingt noch treffen. Heute Nachmittag um fünf beim Löwen. Danke.“

Zunächst waren wir verblüfft, fanden allerdings schnell heraus, dass eigentlich der städtische Tennisklub angerufen werden sollte, und so fielen wir den Kerlen gleich ins Wort:

„Sie sind falsch verbunden. Hier ist eine studentische WG, Wohngemeinschaft, verstehen Sie?“

„Hey, Kollege, falsche Nummer.“ „Das hier ist kein Tennisklub. Hier ist der Klub des konstruktiven Dekon-

struktivismus.“ „Lieber Freund. Sie brauchen eine andere Nummer. Hier sind Sie nämlich im

Zoologischen Garten.“ Nach einiger Zeit beschwerten wir uns jedoch. Wir beschwerten uns bei der Post.

Und bei dem Tennisklub. Und wir beschwerten uns dann auch schriftlich. Und – man versprach uns Besserung.

Aber es passierte – ganz und gar nichts. Wir erledigten schon seit Wochen jeden Tag an die 20 Tennisklub-Anrufe.

An einem Abend entstand jedoch die Idee: Wir fingen einfach an mitzuspielen. Also fingen wir an, Tennisspielplätze zu reservieren. Wir buchten Trainings-termine

um und wir nahmen Turnieranmeldungen an. Wir vereinbarten Limonaden- und Würstchenlieferungen, bestimmten Anzahl der vergoldeten und der versilberten Pokale, versprachen Bespannung von Tennisschlägern und Einberufung der Disziplinarkommission.

Nach ein paar Tagen war plötzlich – Ruhe. Das neurolinguistische Prinzip des Kalibrierens setzte sich durch.

Damit rechneten wir aber gar nicht mehr! Schade. Wir verbesserten uns enorm in der Kommunikation. Wir erfuhren viel vom

Tennis. Und – es machte uns Spaß In Erinnerung an den Tandem-Abend voller Geschichten

in Würzburg im Sommer 2005 PZ.

5 10

Deutsch für Gastarbeiter

Herbert Rosendorfer (1934–2012) Professor Yamasuke Hirotawa, ein Junggeselle von etwa fünfzig Jahren, lehrte bereits seit zehn Jahren deutsche Literaturgeschichte an der Universität Kobe, als er die Einladung erhielt, zwei Semester als Gastdozent an einer deutschen Universität zu verbringen. Professor Hirotawa hatte zu diesem Zeitpunkt zwar einige Aufsätze über Barocklyrik, eine zweibändige Analyse von Schillers „Wallenstein“ und – sogar in deutscher Sprache – eine Abhandlung über den Bedeutungswandel des Dativs von Luther bis Hofmannsthal geschrieben und die Werke Kleists und Immermanns ins Japanische übersetzt, aber in Deutschland gewesen war er noch nie.

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Was er – sozusagen sprachlich gesehen – in Deutschland erlebte, bedeutete für ihn nicht mehr und nicht weniger als eine Sensation, einen Umsturz aller Werte, eine Revolution. Professor Hirotawa musste erkennen, dass seine Vorstellung von der deutschen Sprache veraltet, überholt, ja schlichtweg falsch war. Er, sagte Professor Hirotawa nach seiner Rückkehr nach Japan, der sein Leben und die Energie jahrzehntelangen Gelehrtenfleißes der deutschen Sprache gewidmet habe, hätte in Deutschland dagestanden wie der Bauer von Sukudo im Shinto-Schrein (das bedeutet ungefähr: wie der Ochs vor dem Berg). Die Deutschen sprächen gar nicht das Deutsch, das er gelernt habe. Seine Lehrer am Goethe-Institut müssten Scharlatane gewesen sein. Er, Professor Hirotawa, erwäge einen entsprechenden Hinweis an die Adresse der Deutschen Botschaft, die offenbar keine Ahnung von dem schamlosen Treiben dieser so genannten Lehrer habe. Die Deutschen sprächen ein ganz anderes Deutsch, eine knappe, prägnante Sprache, die auf nahezu alle Konjugations- und Deklinationsformen verzichte, fast ausschließlich aus Substantiven bestehe und mit vielen plakativen Redensarten allgemeiner Art angereichert sei. Im Übrigen redeten alle Deutschen mit Händen und Füßen – und dieses oft gleichzeitig.

Schon als Professor Hirotawa das erste Mal mit der Straßenbahn fuhr, machte er eine hochinteressante Spracherfahrung. Er fragte den Schaffner nach einer Haltestelle, an der er aussteigen wollte. Der Schaffner sagte dann an der betreffenden Station nicht: „Hier ist die Haltestelle, nach der Sie gefragt hatten, mein Herr. Bitte beeilen Sie sich.“ Der Schaffner sagte: „Du, he! Raus jetzt. Dalli-dalli!“

Später kaufte sich Professor Hirotawa ein Fahrrad für den Weg von seinem möblierten Zimmer zur Universität. Auch das brachte ihn in Kontakt mit dem lebendigen Deutsch, das der Mensch auf der Straße offenbar spricht. „Klingi-klingi, verstehen? Sonst kaputto, alter Chines“, zum Beispiel heißt soviel wie: „An dieser Stelle müssen Sie, sofern Sie keinen Schaden erleiden wollen, akustische Signale geben, verehrter Angehöriger eines fernöstlichen Volkes.“

„Du plem-plem, scheinbar“, heißt: „Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie durch die Einbahnstraße in verkehrter Richtung fahren.“

Gewiss, schreibt Professor Hirotawa in seiner Abhandlung, in der er seine Erfahrungen mit der neudeutschen Sprache niederlegte, gewiss gibt es auch die altdeutsche Sprache noch. Zum Beispiel verstanden noch einige Studenten und mehrere Professoren, denen er begegnete, die altdeutsche Sprache, wenngleich mit Mühe. Außerhalb der Universität sei aber nur eine Verständigung im neuen Idiom möglich. Anfangs habe er es nicht unterlassen können, hie und da einen Mann auf der Straße in der Sprache anzureden, die er, Hirotawa, als Deutsch gelernt habe.

„Wären sie geneigt, verehrte Blüte dieser Stadt, mir einige dieser auserlesenen Früchte gegen Entgelt zu überlassen?“, habe er zu einer älteren Dame gesagt, die auf dem Markt Obst und Gemüse feilbot. Die Dame habe ihn daraufhin angeschaut, als wäre ihr ein Gespenst erschienen. Erst als er einige Birnen prüfend betastet habe, sei wieder Leben in sie gekommen. „Nix da anlangen. Griffel weg. Marsch, marsch. Alter Depp.“ Das heißt etwa: „Bitte unterlassen Sie es, die ausgestellte Ware zu befühlen, verehrungswürdiger Greis.“

Auch sein Hauswirt habe nur die neudeutsche Kurzsprache gesprochen. „Was sagst? Zimmer nix gut? Zimmer nix dir gefallen? Zimmer zu klein-teuer? Dass ich nicht

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lachen. Zimmer sein viel, viel schön. Viel, viel billig. Du nur zahlen vierhundert. Molto wenig. Du verstehen? Sonst gemma-gemma.“ Als er einmal in der Nacht die Toilette benutzte, die sich – er könne nicht sagen, ob das in deutschen Häusern allgemein so üblich sei – im unteren Stock befunden habe, sei die Frau des Hauswirts auf dem Flur erschienen und habe gesagt: „Nix Remmi-demmi in Nacht. Pst! Du verstehen? Schleich dich!“ Das, interpretiert der Professor zutreffend, sei eine schon ans Unfreundliche grenzende Warnung gewesen.

Nun dränge sich natürlich die Vermutung auf, schreibt Professor Hirotawa in einem weiteren Kapitel seines Buches, dass die Deutschen nur aus Höflichkeit mit ihm, dem Japaner, derart substantivistisch-prägnant sprächen. Das ist so zu verstehen: Die, wie die ganze Welt weiß, ungemein klugen und ungeheuer intelligenten Deutschen, die, wie sie selber gelegentlich durchblicken lassen, alles wissen, wissen auch sehr gut, dass das Japanische eine so genannte agglutinierende Sprache ist, deren Nomina weder Geschlecht, Ein- oder Mehrzahl, Flexion oder Artikel kennen. Grob gesprochen: Wenn die Einzahl Baum heißt, so heißt die Mehrzahl nicht Bäume, sondern etwa Baum-Baum. Nun sind die Deutschen nicht nur unermesslich gescheit, schreibt Professor Hirotawa, sondern auch – im Gegensatz zu den Flegeln von Japanern – ganz außerordentlich höflich. Längere Zeit habe deshalb Professor Hirotawa angenommen, die Deutschen machten ihm gegenüber aus Höflichkeit und profunder Kenntnis der japanischen Sprache aus ihrer deutschen Sprache eine Art unflektiertes Japanisch mit deutschen Vokabeln. Zwei Umstände haben Professor Hirotawa in dieser Annahme bestärkt: Einmal hatte er Gelegenheit, einen anderen Japaner – den verehrungswürdigen Reederei-Makler Tohanube Kanaziki – in Deutschland zu treffen, der ihm bestätigt habe, dass die Deutschen auch ihm gegenüber so komisch redeten: „Ha, ha, alter Japse, du sein winzi-winzi Gauner...“ (Das heißt ungefähr: „Wir sind voll grenzenloser Bewunderung für Ihre Geschäftstüchtigkeit, lieber Sohn Nippons.“) Und dann habe er, Hirotawa, einmal, als er mit einer sehr höflichen und intelligenten jungen deutschen in einer Bar war, gegen besseres Wissen nicht „eine Flasche Sekt mit zwei Gläsern“ bestellt, sondern: „Sekt, eins, Glasi-Glasi, du verstehen?“ Worauf ein Leuchten über das Gesicht des Kellners gegangen sei.

Dennoch war alles ein Irrtum. Als der Hauswirt Professor Hirotawa kündigte, das heißt, als Professor Hirotawa feststellte, dass der Hauswirt sein Gepäch (sehr sorgfältig) vor die Haustür gestellt hatte, und zwar rücksichtsvoller Weise so, dass es noch unter dem Vordach stand und nicht im Regen, hatte er, Hirotawa, die Möglichkeit, die Sprachgewohnheiten anderen Ausländern gegenüber zu beobachten. Das kam so: Professor Hirotawa wollte es sich nicht nehmen lassen, dem Hauswirt und seiner Gamahlin eine Abschiedsaufwartung zu machen, in der Hoffnung, dass sein Anblick den offenbar etwas vergesslichen Hauswirt an die noch für zwei Monate vorausbezahlte Miete erinnern könnte. Professor Hirotawa betrat also das Haus und hörte ein Gespräch zwischen dem Hauswirt und den vier Herren, denen er jetzt das Zimmer vermietet hatte. Es waren zwei Jugoslawen, ein Italiener und ein Grieche, also alles Angehörige von Völkern, die indogermanische Sprachen sprechen. Dennoch sagte der Hauswirt: „Nix miteinander vierhundert blechi-blechi. Jeder vierhundert. Kapito? Du vierhundert – du vierhundert – du vierhundert – du auch vierhundert.!“ Professor Hirotawa konnte sich nicht enthalten, seinem ehemaligen Hauswirt ein Kompliment zu

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machen: „Ich bin voller grenzenloser Bewunderung für Ihre Geschäftstüchtigkeit.“ Hirotawa sagte es in Neudeutsch: „Ha, ha, du sein winzi-winzi Gauner...“

Das ganze habe zu einer kleinen Trübung seines freundschaftlichen Verhältnisses mit dem Hauswirt geführt, aber das sei nicht das eigentlich Merkwürdige an der Sache. Merkwürdig und interessant war, dass der Hauswirt auch gegenüber Angehörigen der indogermanische Sprachen sprechenden Völker das neue, agglutinierende, flexionslose Deutsch gebrauchte. Nun habe ihn der Fall eigentlich erst richtig zu interessieren begonnen. Er habe viele in Deutschland lebende Ausländer – Griechen, Italiener, Jugoslawen, Spanier, Araber, Afrikaner – angesprochen. Alle hätten ihm bestätigt, dass die Deutschen nur Neudeutsch sprächen. „Du sein Griech´, du sein schweig“, heißt: „Ich empfehle Ihnen dringend in Ihrem eigenen Interesse, die Gepflogenheiten des Gastlandes zu beachten...“

Endgültige Erkenntnisse habe Professor Hirotawa, schreibt er, erst in den letzten Wochen seines Aufenthaltes gewinnen können, dass es tatsächlich eine neudeutsche Sprache gibt, die in wesentlichen Punkten von der ihm bis dahin geläufigen deutschen Sprache abweicht. Insoweit seien die Kündigung seitens des Hauswirtes und jener Abend in der Bar – wo er „Sekt und Glasi-Glasi“ bestellt habe – glückliche Fügungen gewesen. Er sei nämlich zu der erwähnten Dame gezogen, die – nicht von ihm, so lange war er nicht in Deutschland – ein Kind gehabt habe. Die Dame hieß Anita, das Kind – ein Knabe – Thomas. Beide, Mutter und Kind, waren unzweideutig und zweifelsfrei Deutsche, die deutsche Sprache war ihre Muttersprache. Anita war fünfundzwanzig, das Kind eineinhalb Jahre als, konnte schon laufen, selbsttätig den Fernseher andrehen und die Programme wählen. Beide, Mutter und Kind, sprachen sowohl mit ihm, Professor Hirotawa, als auch miteinander Neudeutsch: „Papp-papp, dann heia gehen, morgen mit Mutti atta-atta.“ Es sei doch wohl anzunehmen, dass sich Eltern gerade Kindern gegenüber, die die Sprache lernen sollen, besonders korrekter Sprachgewohnheiten befleißigten, meinte Professor Hirotawa. Also habe er mit erhöhter Aufmerksamkeit auf die Gespräche zwischen Anita und ihrem Sohn geachtet, um das korrekte Deutsch zu lernen. Auch den reichen und interessanten Wortschatz der Großmutter habe er mit gewinn studiert.

Sprachliche Studien bei anderen jungen Damen habe ihm, schreibt der Professor, die irgendwie ausschließliche Grundhaltung Anitas verwehrt. Als Anita durch Zusammentreffen mehrerer unglücklicher Umstände Einblick in andere Sprachstudien bekam, schluchzte sie: „Du, Bock, nix mit dieses Luder. Raus hier!“ Was so viel heißt, wie: „Meine Seele ist voll Kummer, die Person hier ist deiner nicht würdig.“

Dass das Neudeutsch nach und nach auch Amtssprache wird, habe er noch kurz vor seiner Rückreise erfahren, nämlich am Bahnhof. Die Durchsage per Lautsprecher sei ein herrliches Beispiel neudeutscher Sprache gewesen, allerdings für ihn vorerst noch unverständlich (Lautzeichen habe er sich notiert und sei dabei, sie zu entschlüsseln): „Nchtg, Nchtg, Meis Mei, Decht-ncht-cht, Kss-Kss-chrr-m´stgn. Bitte zckzcktn.“

„Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin, Und leider! auch Theologie

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

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Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug, als wie zuvor!“

Das sind die berühmten ersten Zeilen des Faustmonologs. Wir wissen, dass der japanische Germanist Professor Hirotawa auch der kongeniale Kleist- und Immermann-Übersetzer Yamasuke Hirotawa ist. Nun hat sich Hirotawa an ein neues Übersetzungswerk gemacht. Er übersetzte Goethe, aber nicht ins Japanische, sondern ins Neudeutsche. Sanfte und vorsichtige Retuschen können diese unsterblichen Verse mit neuer Aktualität füllen, selbstverständlich ohne den Gehalt des Gedichts anzutasten.

„Ich – lernen, viel, viel Schule, Kapiert? Köpfchen, Köpfchen. Doktor – Advokat – Professor.

Sogar Beten – pfui Teufel – Alles Scheiße.“

Und wie lautet nun jenes kurze Gedicht: „Über allen Gipfeln ist Ruh...“7?

„Bäume, Wald – pst, Nix brüllen,

Zwitscher-Zwitscher – auch pst. Du bißchen warten.

Dann auch Mund halten.“

Die Frau seines Lebens und andere Geschichten. München: Nyphenburger, 1985, 206–2013.

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Gibs auf

Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, dass es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: „Von mir willst du den Weg erfahren? „Ja“, sagte ich, „da ich ihn selbst nicht finden kann.“ „Gibs auf, gibs auf“, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

KAFKA, Franz. Sämtliche Erzählungen. Frankfurt/M: Fischer, 1970, 320f.

7 Über allen Gipfeln / Ist Ruh, / In allen Wipfeln / Spürest du / Kaum einen Hauch; / Die Vögelein schweigen im

Walde. / Warte nur, balde / Ruhest du auch. GOETHE, Johann Wolfgang von. Wandrers Nachtlied. Ausgabe letzter Hand 1827.

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Es gibt nur eine Sprache

Vor einem großen Schiff im Hafen von Rotterdam steht ein Schweizer mit einem kleinen Paket in der Hand. Oben an der Reling steht ein Matrose. Und der Schweizer ruft ihm zu: „He, Sie, chönteder das Päckli am Kapitän gäh?“

Der Matrose rührt sich nicht. „He“, ruft der Schweizer, „chönteder das Päckli am Kapitän gäh?“ Und als der Matrose wieder nicht reagiert, ruft der Schweizer nach langem

Nachdenken: Français – parlez vous français?“ Keine Reaktion. „Englisch?“, ruft der Schweizer. Nichts. „Oder Italiänisch – Italiano?“ Der Matrose hängt immer noch still über die Reling. „Spanisch – Spanien – Espanol?“, ruft der Schweizer. Und jetzt endlich die Antwort: „Si, señor, si señor, hablo espanol.“ „Also“, ruft der Schweizer erleichtert. „Chönteder das Päckli am Kapitän gäh?“

Aus BICHSEL, Peter. Es gibt nur Eine Sprache. Rede zur Gründung der

Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des mehrsprachigen Unterrichts in der Schweiz. In Praxis Deutsch 144, 4–9.

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4. Gebrauchstexte Der Gebrauchstext ist an einen bestimmten Zweck im Hinblick auf den Austausch der Informationen, die Organisation des Alltags oder des beruflichen Leben gebunden. Zu den Gebrauchstexten zählen zum Beispiel Aushänge, Bestätigungen, Quittungen, Rezepte, Bedienungsanleitungen, Werbetexte, Nachrichten, Reportagen, Interviews, Kommentare, Kritiken, Briefe.

Der Gebrauchstext zeichnet sich durch adressatenspezifische Angemessenheit, Realitätsbezug, Sachlichkeit und durchdachte Strukturierung aus.

WERBETEXT

Am Beispiel des Werbetextes können wir gut nachvollziehen, dass seine Intention, die Aufmerksamkeit des Lesers zu erwecken und ihn zum Kauf eines Produkts zu bewegen, mit dem kreativen Sprachspiel einhergeht.

AUFGABE – WERBETEXT

Identifizieren Sie Beispiele von poetichen Äquivalenzen in der Sprache der Werbung (Alliteration, Silbenanzahl, Wörteranzahl, Betonung, Rhythmus, morphologische und syntaktische Strukturen).

Text (Schlagzeile, Fließtext, Slogan) Firma/Produkt

1. Geiz ist geil. SATURN

2. Bitte ein Bit. Bitburger Bier

3. Freude am Fahren. BMW

4. Messen nach Maß. Leipziger Messe

5. Wissen, was wichtig wird. Financial Times Deutschland

6. hansaplast. wir helfen heilen hansaplast

7. Gute Preise. Gute Besserung. Ratiopharm

8. Viel drin, gut drauf. Funk Uhr

9. Abschalten und Tee trinken. Teefix

10. Mit Sicherheit mehr Vergnügen. Peugeot

11. Die Welt gehört denen, die neu denken. Die Welt

12. Stoppt den Schmerz und beschleunigt die Heilung. Voltaren

13. McDonald´s. Einfach super.

14. Was Neues zum Naschen.

15. Futter dich fit.

16. Sparen Sie sich satt.

17. Dies und das für Spiel und Spaß.

McDonald´s

18. Dahinter steckt immer ein kluger Kopf. Frankfurter Allgemeine

19. Am liebsten das Beste. Siematic

20. Weil Sie es sich wert sind. L´ORÉAL

21. Morgens gebracht, Abends gemacht. Fertighaus

22. Wohnst du noch oder lebst du schon? IKEA

23. Spare in der Zeit, so hast du in der Not. Sparkasse

24. Präsentieren Sie sich, wie ein Scheich, bezahlen Sie, wie ein Schotte.

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25. Wer viel Geld hat, kann spekulieren. Wer wenig Geld hat, sollte nicht spekulieren. Wer kein Geld hat, muss spekulieren.

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ALLTAGSPOESIE & GEFUNDENE POESIE

Auch Gebrauchstexte aus dem Alltag – Kochrezepte, Einkaufszettel, Aufschriften, Nachrichten, Notizen haben manchmal poetischen Charakter. Oder aber werden gefundene Gebrauchstexte zum Auslöser für eine poetische Idee – sie werden ergänzt, gekürzt oder erweitert, graphisch umgestaltet.

AUFGABE – ALLTAGSPOESIE & GEFUNDENE POESIE

Erinnern Sie sich an ein Erlebnis, ein Gespräch, eine Erfahrung aus der letzten Zeit. Schreiben Sie in Anlehnung an Dies ist zu sagen ein kurzes Gedicht mit einem eigenen Inhalt. 1) Behalten Sie den Wortlaut der Überschrift (Dies ist zu sagen) und den Wortlaut der Zeile zehn (Verzeih mir) bei. 2) Versuchen Sie mindestens einen Amphibrachys und mindestens einen Zeilensprung zu gestalten. 3) Strukturieren Sie Ihr Gedicht in Strophen.

A = Amphibrachys: zwei leichte Silben umschließen eine schwere Silbe – dlouhá/ přízvučná slabika mezi dvěma krátkými/nepřízvučnými.

Z = Zeilensprung: der Satz/ die Wortgruppe springt in die nächste Zeile – přesah = věta/větný celek přesahuje do dalšího řádku.

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Dies ist zu sagen

Ich habe sie aufgegessen: die Pflaumen – sie waren im Kühlschrank und du hast sie vielleicht aufbewahrt für das Frühstück Verzeih mir sie waren köstlich so süß und so kühl

William Carlos Williams (Übersetzung PZ & JS)

A Z A A Z Z A A

KOMMENTAR

Der Kommentar gehört zu den ältesten Textsorten z. B. in der Philosophie, Philologie, Theologie, Kunstgeschichte. Der Kommentator will dem Leser seine Einstellung zu einem bestimmten Thema vermitteln und ihn mittels Fakten, Argumenten und Humor von seiner Sichtweise überzeugen.

AUFGABE – KOMMENTAR

Konzipieren Sie einen Kommentar zum Fachbereich „Kreatives Schreiben“. Lassen Sie sich nach Lust und Laune durch die folgenden Zitate inspirieren. Versehen Sie Ihren Kommentar mit einem Titel.

„Jeder Mensch sollte ein Tagebuch führen, denn es gibt nichts Spannenderes zu lesen.“

Oscar Wilde „Bevor man schreibt, weiß man nichts von dem, was man schreiben wird.“

Marguerite Duras „Allen Menschen ist zuteil, sich selbst zu erkennen.“

Heraklit von Ephesos „Schreiben heißt sich selber lesen.“

Max Frisch „Dichterisch wohnet der Mensch.“

Martin Heidegger „Mein Tipp: Das Schreibjournal.“

Heike Thormann

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INTERVIEW

Das Interview stellt eines der fundamentalen publizistischen Textmuster dar. Zu den typischen Interviewformen zählen: - Klassisches Interview (Frage-Antwort); - Kommentiertes Interview (der Journalist ergänzt den Text um eigene Kommentare und

Zitate); - Monologisches Interview (Fragen werden in der Endfassung ausgelassen); - Gesprächsinterview (Rollen des Journalisten und des Interviewten sind symmetrisch); - Reportage-Interview (mit Beschreibungen von Zeit, Ort und Atmosphäre; mit Fotos samt

Porträt der interviewten Person). Folgende Aspekte werden für wichtig gehalten: - Der Journalist muss ein Ziel haben. - Er muss über die interviewte Person (IP) möglichst viel wissen. - Er darf der IP sein Ziel erklären und die IP nach ihren Wünschen im Hinblick auf zu

veröffentlichende Informationen fragen. - Er muss garantieren, dass sich die IP mit ihm wohl fühlt und dass sie mit dem Interview

zufrieden ist. - Er muss die erwünschten Informationen bekommen. - Er muss das stattgefundene Gespräch einwandfrei verschriftlichen. Anmerkungen zum Verlauf: - Der Journalist muss seine Fragen im Voraus vorbereiten, während des Interviews sollte

er sich allerdings nur auf stichwortartige Notizen stützen. - Er darf keine suggestiven Fragen stellen. - Er muss gut zuhören und sollte auf neue interessante Impulse eingehen. - Bei jeder gestellten Frage sollte er einen Schritt weiter sein: Bringt uns die Frage weiter

oder kommen wir in eine Sackgasse? - Will er eine Information bekommen, die ihm selbst schon bekannt ist, muss er besonders

diplomatisch vorgehen. Folgende Fehler sind zu vermeiden: - Zerrissenheit, nicht vorhandene vorhandene Kohärenz, Sinnlosigkeit; - Oberflächlichkeit; - Taktlosigkeit; - Formulierung von suggestiven Fragen; - Nich-Eingehen auf interessante Reaktionen und Antworten der interviewten Person.

Nach Dočekalová 2006.

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AUFGABE – INTERVIEW

Prominenteninterview. Ein Freiwilliger stellt sich selbst als prominente Persönlichkeit den Journalisten zur Verfügung. Die anderen Seminarteilnehmer sind Journalisten. Sie stellen abwechselnd Fragen und versuchen möglichst interessante Informationen über den Prominenten zu bekommen. Der Befragte darf jederzeit antworten: „Kein Kommentar“.

Zuerst werden in Einzel- oder Paararbeit Ideen für Journalistenfragen gesammelt und aufgeschrieben. Anschließend stellen sich die einzelnen Teilnehmer als Prominenten der Befragung.

Der Befragte kann einen bekannten Politiker, Künstler, Wissenschaftler nach eigener Wahl darstellen.

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5. Projekte Dem Projekt liegt immer eine Frage, ein Lösungsentwurf und eine Zielvorstellung zugrunde. Die Teilnehmer bestimmen selbst über das Thema, das Ziel, die detailierten Fragestellungen, die Verteilung der Teilaufgaben, die Phasen und die Dauer des Projekts und über den Termin und die Form der Ergebnispräsentation.

Projektarbeit setzt handlungsorientiertes, ganzheitliches Vorgehen voraus. Die Projektteilnehmer übernehmen Lese-, Denk-, und Schreibaufgaben. Sie werden emotional, sozial und handlungsspezifisch involviert. Häufig werden Fragestellungen, Methoden und Inhalte verschiedener Fächer integriert. Am Ende des Projekts steht ein Ergebnis.

Es folgen sechs Projektideen, die wir in den vergangenen Jahren realisiert und ausgewertet haben. Es sind:

- Tagebuchschreiben - Lesung - Texte unterwegs - Anthologie - Ausstellung - Auswertung

TAGEBUCHSCHREIBEN

Führen Sie ein Tagebuch? Leonardo da Vinci führte eines, auch Johann Wolfgang von Goethe, Albert Einstein, Salvador Dali... Viele überdurchschnittliche Menschen führten Tagebücher, in denen sie Einfälle, Skizzen, Pläne festhielten. Die meisten Genies waren fleißige Schreiber, die in Tagebüchern und Briefen ihre Gedanken darlegten. Nur etwa 1% der Bevölkerung schreibt regelmäßig Briefe und Tagebücher – aber Genies, Wissenschaftler, Künstler, Staatsmänner tun das. Sie fingen schon in ihrer Jugend mit dem Schreiben an, als sie noch nicht wussten, dass sie einmal berühmt werden. Dieses Phänomen wird so erklärt, dass das Schreiben ein Nähr- und Treibstoff des Intellekts ist. Durch das Schreiben kann das natürliche kognitive Potential des Menschen angeregt und aktiviert werden.

In Anlehnung an WENGER, Wim; POE, Richard. Der Einstein Faktor. Kirchzarten: VAK, 1997.

Jeder von uns erlebt täglich sich selbst, die anderen Menschen, die Welt – wir beobachten und verzeichnen bemerkenswerte Dinge, denken darüber nach, sprechen mit den aderen, ziehen Schlüsse, machen Erfahrungen, treffen Entscheidungen, bilanzieren, planen. Im Tagebuch oder im Schreibjournal, das eine Mischform des Tagebuchs und des Notizheftes darstellt, werden:

- Beobachtungen festgehalten; - Erlebnisse beschrieben; - Fragen gestellt;

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- Emotionen zum Ausdruck gebracht; - Vermutungen formuliert; - Überlegungen festgehalten; - Entscheidungen fixiert; - Bilanzen aufgeschrieben; - Zukunftsentwürfe skizziert; - Pläne gestaltet.

AUFGABE – TAGEBUCHEINTRAG

Überblicken Sie tagebuch- bzw. journalartig die vergangenen Tage und Wochen. Gestalten Sie ein Assoziogramm dazu. Überlegen Sie, welche der Assoziationen Ihre Erlebnis- und Erfahrungsstruktur am besten erfassen. Achten Sie beim Schreiben auf die Form des Textes. Versehen Sie Ihren Text immer mit Datum und Titel. Es folgt ein Beispiel des Tagebucheintrags.

2.10.2009 Wochenendpläne 1) Vorbereitung für das Referat „Interkulturelle Kommunikation“ fertig machen. 2) Aufgabe für das Textseminar noch einmal korrigieren und abschicken. Was steht außerdem noch an? Tausend Kleinigkeiten, die den Esel zerstört haben. - Das Thema für die Abschlussarbeit auswählen. - Die Projekt-Webseite fertig machen. - Das Video mit Thomas besprechen (bis Dezember).

Hoffentlich muss ich den Aufsatz für Frau S. nicht zum zweiten Mal überarbeiten. Am Montag wird es genau ein Jahr her sein, dass wir uns getroffen haben. Die ersten

zehn Monate waren schön. Unvergesslich. Die letzten zwei Monate nur noch schwer. Du meldest dich nicht. Wie geht es dir?

Lesen Sie ausgewählte Passagen aus Ihrem Tagebuch/Journal im Plenum vor. Tauschen Sie sich über Ihre Schreiberfahrung aus.

LESUNG

Am Ende des Semesters werden im Plenum Texte vorgelesen.

AUFGABE – LESUNG

Bereiten Sie eine Lesung vor, in der Sie Ihre eigenen Texte vorlesen, oder Texte, die Sie mögen, die Ihnen besonders gut gefallen. Trainieren Sie vor Ihrem Leseauftritt das publikumsorientierte Lesen.

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„Etwas über die Liebe“. Szenische Lesung am Lehrstuhl für Germanistik. 12.4.2005. http://www1.osu.cz/home/zajicova/.

TEXTE UNTERWEGS

Am Ende des Semesters wird eine öffentliche Lesung veranstaltet.

AUFGABE – TEXTE UNTERWEGS

Bereiten Sie mit Ihrer Studiengruppe eine Lesung der eigenen Texte, der literarischen Texte zu einem bestimmten Thema oder der Texte eines bestimmten Autors vor. Tragen Sie die ausgewählten Texte öffentlich vor – im Flur der Universität oder in den Straßen Ihrer Stadt.

Literatur unterwegs. Öffentliche Lesung am 15.3.2012 in Ostrava. Vorbereitung des Programms und Betreuung

der Studiengruppe © Irena Šebestová. Fotografie http://www.osu.cz/index.php?id=9583, © Petr Kiška.

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ANTHOLOGIE

Eine Sammlung oder eine Auswahl von Texten, die zu einem bestimmten Thema, zu einem bestimmten Anlass oder in einer bestimmten Zeitspanne entstanden sind.

AUFGABE – ANTHOLOGIE

Bereiten Sie mit Ihrer Studiengruppe eine Anthologie der Texte vor, die im Seminar zum Kreativen Schreiben geschrieben wurden.

Kreatives Schreiben. Anthologien 1998–2010. Lehrstuhl für Germanistik, Universität Ostrava.

AUSSTELLUNG

Texte, die zu einem bestimmten Thema, zu einem bestimmten Anlass oder in einer bestimmten Zeitspanne entstanden sind, werden ausgestellt.

AUFGABE – AUSSTELLUNG

Bereiten Sie mit Ihrer Studiengruppe eine Ausstellung der Texte vor, die in Ihrem Seminar zum Kreativen Schreiben geschrieben wurden.

Kreatives Schreiben. Ausstellung 2013/14. Lehrstuhl für Germanistik, Universität Ostrava.

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AUSWERTUNG

Am Ende einer bestimmten Zeitspanne (zum Beispiel des Semesters) werden Texte geschrieben, in denen die gemeinsame Arbeit ausgewertet wird. Ein bestimmter Tag, eine bestimmte Woche, ein bestimmtes Ereigniss stellen das Rahmenthema dar. Der Text muss sich nicht auf den ganzen Tag/auf die ganze Woche beziehen. Es können einzelne Momente oder Situationen ausgewählt werden. Zum Ausgangspunkt des Textes sollten Emotionen und Erfahrungen sein. Es folgen einige Anregungen und Formulationen für die Erstellung der Assoziogramme vor dem Schreiben:

- Es war für mich eine angenehme/unangenehme Erfahrung.

- Ich war aufgeregt.

- Die Haare standen mir zu Berge.

- Ich habe mich gewundert.

- Ich hatte Herzklopfen.

- Ich habe mich geärgert.

- Was ich gelernt habe:

- Worüber ich nachdenke:

- Was ich mitnehmen möchte:

- Was ich weitergeben und weiterentwickeln möchte:

- Worüber ich mich am meisten freue:

- Form und Textsorte der Auswertung sind frei. Es können unterschiedliche Texte entstehen – zum Beispiel Tagebucheinträge, Ansichtskarten, Werbetexte, Gedichte, Warnungen, Protokolle, Zeitungsartikel, Beschwerden, Kurzgeschichten.

Jeder Text bekommt einen Titel und kann mit Zeichnungen und Bildern ergänzt werden.

AUFGABE – AUSWERTUNG

In Paaren oder in Dreiergruppen werden jeweils zwei kurze Texte geschrieben. Diese werden auf der Wandzeitung der oder der Schule veröffentlicht. Die Texte werden ausgestellt.

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BRENNER, Gerd: Kreatives Schreiben. Ein Leitfaden für die Praxis. Frankfurt am Main: Cornelsen Scriptor, 1994.

CORNEJO, Renate. Konkrétní poezie v počáteční výuce německého jazyka. Cizí jazyky, 1998, 42, 3–4, 47–50.

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ANLAGEN

- Groß- und Kleinschreibung & Interpunktion

- Sechs Übersetzungen

- Drei Kettengedichte

- Zwei Kurzgeschichten

GROß- UND KLEINSCHREIBUNG & INTERPUNKTION

Für Groß- und Kleinschreibung und Interpunktion in Gedichten gibt es keine einheitlichen Regeln. Es ist jedoch notwendig, eine Entscheidung zu treffen und die gewählte Schreibweise im ganzen Text einzuhalten. Es gibt folgende Möglichkeiten:

- Die Groß- und Kleinschreibung bzw. Interpunktion folgt den allgemeinen Regeln eines geläufigen Prosatextes.

- Jede Zeile fängt mit einem Großbuchstaben an. - Der gesamte Text wird kleingeschrieben – außer den Substantiven, die mit einem

Großbuchstaben anfangen. - Der gesamte Text wird kleingeschrieben. - Die Interpunktion wird nur im Zeileninneren oder in Hervorhebungen verwendet. - Auf Interpunktion wird ganz verzichtet.

SECHS ÜBERSETZUNGEN

Vergleichen Sie die Übersetzungen bzw. starten Sie Ihren eigenen Übersetzungsversuch. Vergleichen Sie Ihre Fassungen und tauschen Sie sich über Ihre Fragen und Lösungen aus. Reifezeugnis Ich wollte Nähe und bekam die Flasche Ich wollte Eltern und bekam Spielzeug Ich wollte reden und bekam ein Buch Ich wollte lernen und bekam Zeugnisse Ich wollte denken

Ich wollte einen Beruf und bekam einen Job Ich wollte Glück und bekam Geld Ich wollte Freiheit und bekam ein Auto Ich wollte einen Sinn und bekam eine Karriere Ich wollte Hoffnung

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und bekam Wissen Ich wollte einen Überblick und bekam einen Einblick Ich wollte frei sein und bekam Disziplin Ich wollte Liebe und bekam Moral

und bekam Angst Ich wollte ändern und erhielt Mitleid Ich wollte leben… Reinhard Jung

L´adieu

J´ai cueilli ce brin de bruyère L´automne est morte souviens-t´en Nous ne nous verrons plus sur terre

Odeur du temps brin de bruyère Et souviens-toi que je t´attends

Guillaume Apollinaire (1880–1918)

Sbohem

Naposledy ti nesu vřes Víckrát už neuvidím tě

Míjením voní dnes ten vřes Je podzim sbohem avšak věz Budu tě čekat všude na světě

The Farewell

I gathered this sprig of heather Autumn, remember, is through

No more shall we share this weather Odour of time sprig of heather And remember I wait for you

Der Abschied

Ich pflückt den Halm vom Kraut der Heide. Der Herbst ist tot – sei eingedenk. Auf Erden scheiden wir nun beide. O Duft der Zeit, o Halm der Heide. Und dass ich warten werde, denk.

Herbsttag Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los. Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke (1875–1926)

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Podzimní den Pane, je čas: jas léta spálil sad. Ty na sluneční hodiny teď vrhni svůj stín a vtrhni s větry do zahrad. Posledním plodům dozrát zašeptej, dva jižnější dny dej jim ještě, přinuť, přiměj je, aby dozlátly, a vínu poslední sladkost na vinicích přej. Kdo dům teď nemá, už nebude jej mít. Kdo sám je, bude sám, dlouho a k nepřečkání, a bude bdít a číst, psát dlouhá psaní a nikdy nikde nenajde už klid, jak listí v alejích, až do skonání. Překlad: Ladislav Fikar

Den podzimní Měj, pane dík. Rok prožil velký čas. Slunečním hodinám přej stínů sklony a na průhony vypusť vichry zas. Poslední plody do plnosti nuť; dva jižnější dny ještě jim dej, pohni je k dokonalosti a svými ohni vžeň do vín těžkých ještě sladkou chuť. Kdo nemá dům, už stěží vztyčí krov. Kdo sám je, tesknotám se neubrání: bdít bude, knihy číst, psát dlouhá psaní, v alejích bloudit, jimiž hřbitov neklidný vítr zvadlé listí vhání. Překlad: Otakar Babler

Was es ist Es ist Unsinn, sagt die Vernunft Es ist was es ist, sagt die Liebe Es ist Unglück, sagt die Berechnung Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht Es ist was es ist, sagt die Liebe Es ist lächerlich, sagt der Stolz Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung Es ist was es ist, sagt die Liebe Erich Fried (1921–1988)

Co to je Je to nesmysl, říká rozum Je to, co to je, říká láska Je to neštěstí, říká vypočítavost Není to nic než bolest, říká strach Je to beznadějné, říká prozíravost Je to, co to je, říká láska Je to směšné, říká pýcha Je to lehkomyslné, říká opatrnost Je to nemožné, říká zkušenost Je to, co to je, říká láska Překlad: Jaroslav Kovář

Il est ce qu’il est Il est absurde, dit la raison Il est ce qu’il est, dit l’amour Il est une calamité, dit le calcul Il n’est rien que de la peine, dit l’angoisse Il est désespérant, dit l’intelligence Il est ce qu’il est, dit l’amour

Il est ridicule, dit l’orgueil Il est étourdi, dit la prudence Il est impossible, dit l’expérience Il est ce qu’il est, dit l’amour Traduction: Axel G. Sturm

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Fragen und Antworten Wo sie wohnt? Im Haus neben der Verzweiflung Mit wem sie verwandt ist? Mit dem Tod und der Angst Wohin sie gehen wird wenn sie geht? Niemand weiß das Von wo sie gekommen ist? Von ganz nahe oder ganz weit Wie lange sie bleiben wird? Wenn du Glück hast solange du lebst Was sie von dir verlangt? Nichts oder alles Was soll das heißen? Dass das ein und dasselbe ist Was gibt sie dir - oder auch mir - dafür? Genau soviel wie sie nimmt Sie behält nichts zurück Hält sie dich - oder mich - gefangen oder gibt sie und frei? Es kann geschehen dass sie uns die Freiheit schenkt Frei von ihr ist das gut oder schlecht? Es ist das Ärgste was uns zustoßen kann Was ist sie eigentlich und wie kann man sie definieren? Es heißt dass Gott gesagt hat dass er sie ist Erich Fried (1921–1988)

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Was schlimm ist Wenn man kein Englisch kann, von einem guten englischen Kriminalroman zu hören, der nicht ins Deutsche übersetzt ist. Bei Hitze ein Bier sehen, das man nicht bezahlen kann. Einen neuen Gedanken haben, den man nicht in einen Hölderlinvers einwickeln kann, wie es die Professoren tun. Nachts auf Reisen Wellen schlagen hören und sich sagen, daß sie das immer tun. Sehr schlimm: eingeladen sein, wenn zu Hause die Räume stiller, der Café besser und keine Unterhaltung nötig ist. Am schlimmsten: nicht im Sommer sterben, wenn alles hell ist und die Erde für Spaten leicht. Gottfried Benn (1986–1956)

Co je zlé Neumět anglicky a slyšet o dobré anglické detektivce, která není přeložena. Vidět za vedra pivo, na něž nemáš. Mít novou myšlenku a neumět ji zabalit do hölderlinovského verše, jak to dělají profesoři. Slyšet v noci na cestách, jak bijí vlny, a říkat, že to dělají vždycky. Co je horší: být někam pozván, když doma jsou místnosti tišší, káva lepší a když se ti nechce mluvit. Nejhorší: neumřít v létě, když všude je samý jas a země je lopatám lehká. Překlad: Ludvík Kundera (1920–2010)

DREI KETTENGEDICHTE

Ostrava am 24. März 2009

Metropole Nordmährens Mit vielen Taschendieben Und Polizisten Industriezentrum Mit Pferd im Zeichen Der Masaryk-Platz Da treffen wir uns immer Mit meiner Freundin Jeden Tag der gleiche Weg Zur Straßenbahn und zurück

Große Häuser überall Fast keine Natur für Erholung Fast alles ist grau ein Ort an der Staatsgrenze Bergbau hat´s bestimmt Spezifischer Dialekt Manchmal ein bisschen komisch Ihr Bild gefällt mir Ich mag sie als Uni-Ort Fühle mich hier wohl

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Es regnet und schneit Sonne läßt auf sich warten Freue mich auf sie Der Fluss Ostravice fließt durch Viele Cyklomöglichkeiten Im Musikshop an der Ecke Neue Gitarre gekauft Sie ist wunderschön Hoher Rathausturm Grüne Flächen drum herum stiller Fluss fließt durch

Schule und Freunde Pflichten und Unterhaltung Zu Hause am Computer Ist der Zufluchtsort Erst wird Mailbox geöffnet Warte auf Freunde Um sieben ist es so weit Morgen beginnt ein Tag So wie gestern und heute Oder doch etwas anders?

Am vergangenen Wochenende

Samstag und Sonntag Von Freitag eröffnet Freie Zeit beginnt Am Vormittag Zeitungen Lange Stunden nur für mich Sonntagsspaziergang Vater, Mutter, Kind und Hund Schöner Nachmittag Weißer Schnee liegt überall Dünne Decke aus Spitze

Draußen war´s zu kalt Ich bin jetzt so erkältet Nach dem Spaziergang Wiedersehen nach Jahren viel Spaß in der Gaststätte Die Feier war toll Wir hatten Spaß zusammen Und dann Kopfschmerzen Leider schon vorbei Doch es wird wieder kommen In einer Woche

„Kreatives Schreiben“ 2008

Einkäufe

Genug Geld dabei? Man kann hier alles kaufen. Außer Fröhlichkeit. Toll, das rote Kleid! Will es haben, jetzt sofort! Habe kein Geld mit... Ein Sommernachtsball: Ich brauche ein neues Kleid! Am besten aus Samt! Das schöne Ballkleid. Noch gestern im Schaufenster

Einkaufen gehen. Was ist es? Freud oder Leid? Wer weiß das denn schon. Die Hose passt nicht. Die Jacke ist viel zu klein. Er geht nach Hause. Noch eine Gurke Einkaufswagen total voll Brot nicht vergessen Heißer Nachmittag Geschäfte voll von Menschen...

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und jetzt trägt sie es. Tasche aus Leder wie die von Kateřina muss ich mir kaufen Haben wir alles? Ein Tag in der Stadt lohnt sich Portemonnaie ganz leer Einkaufswagen voll Hosen, T-Shirts und ein Kleid Geldbeutel ganz leer

... Klimaanlage! Sonderangebot. Qualität zum kleinen Preis. Morgen schon kaputt. Die Taschen sind voll Kartenzahlung akzeptiert Jetzt geht´s nach Hause Tesco und Kaufland. Ikea, Hypernova. Sonntag mit Shopping.

„Kreatives Schreiben“ 2006

ZWEI KURZGESCHICHTEN

Dein Tag ohne dich

Anžela Petrosjanová „Morgen ist dein Tag“, sagt Erika zu ihrer Tochter und schreibt auf den Einkaufszettel noch Kerzen und Luftballons hinzu. „Vergiss nicht den Kinderpunsch“, hört sie aus dem Bad, worauf die Erika antwortet, sie solle sich beeilen, denn sie müssten in 15 Minuten gehen und sie sei noch nicht mit dem Frühstück fertig. Die Pfannkuchen sind kalt geworden.

Kalt ist es auch draußen. „Tsja, nicht einmal die Ampeln machen mit“, ereifert sich Erika am Zebrastreifen und dann noch stärker darüber, dass die kleine Katja sich nicht bei der Hand nehmen lässt. „Morgen kommt dein Vater aus Vaduz zurück und er erklärt dir, wie man sich benehmen soll“. Gleichzeitig ignoriert Erika die dummen Begriffsstutzigkeiten der Vorübergehenden. Auf dem Weg aus der Schule ruft Erika noch ein paar Mütter von Katjas Freundinnen und Mitschülern an und sie alle nehmen die Einladung an. Aus dem Geschäft läuft sie schnell nach Hause, um die letzten Vorbereitungen zu schaffen. Es kommt der nächste Tag. Auf dem Tisch eine wunderschöne, mit leuchtenden Kerzen geschmückte Torte. Gleich daneben die Geschenke mit Namensschildern. Für wen denn? Da sitzt die in Gedanken versunkene Erika, in völliger Stille. Die Partygäste nirgendwo.

„Na ja, wenigstens bleibt die ganze Torte nur für uns, “ sagt die geistesabwesende Erika und fängt an, die Torte zu schneiden.

Plötzlich steht ein glatzköpfiger Mann vor ihr. Lustlos bläst er die Kerzen aus. „Nie wird sie acht“, sagt er, sich beherrschend. Nach einer Weile fügt er fürsorglich hinzu: „Schatz, komm, du darfst nicht vergessen, deine Tabletten einzunehmen“. Danke für jeden neuen Morgen

Daniela Vozníková Der Morgen, der Anfang des Tages, wenn wir ausgeruht und frisch sind.

Doch trotzdem. Das mitleidslose, rücksichtslose Jammern des Weckers. Mit diesem Ton ist der ganze Raum gefüllt. Der Raum im schwarzschwarzen Dunkel. Es gibt nur diesen Ton. Dieser Ton ist wie ein unhaltbares lautes Lachen des Kasperls, das aus der Schachtel herausspringt und mit seinem Lachen die Stille des Raums durchsticht. Wie einfach kann der Wecker einen Zusammenbruch herbeiführen. Plötzlich ist der Mensch wie aus Blei. Er kann sich nicht bewegen. Jede Bewegung wird von unsichtbaren Kräften verhindert, die den Menschen in seinen Klauen halten.

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Dieses Gefühl kann nur durch unseren Willen bezwungen werden, durch den Willen, der uns dazu bringt, dass wir aufstehen und in den Alltag eintreten.

Wir stehen auf, wir finden warme Hausschuhe, wir streben das Ziel Badezimmer an. Aufstehen auf wackeligen Beinen. Mit unsicheren Schritten und mit gelegentlichem Gähnen

gehen wir in das finsterte Badezimmer und waschen uns mit Wasser ab, das als belebendes Wasser wirkt.

Dann können wir uns sagen: Danke für jeden neuen Morgen.


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