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University of Zurich - UZH · 2010. 11. 29. · tät auf dem Gebiet der Verwandtschaftsforschung...

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University of Zurich Zurich Open Repository and Archive Winterthurerstr. 190 CH-8057 Zurich http://www.zora.uzh.ch Year: 2009 Das Dilemma der Anerkennung. Judith Butler über die Macht der Geschlechternormen Caduff, C Caduff, C. Das Dilemma der Anerkennung. Judith Butler über die Macht der Geschlechternormen. In: Neue Zürcher Zeitung, 162, 16 July 2009, p.38. Postprint available at: http://www.zora.uzh.ch Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich. http://www.zora.uzh.ch Originally published at: Neue Zürcher Zeitung, 162, 16 July 2009, p.38.
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Page 1: University of Zurich - UZH · 2010. 11. 29. · tät auf dem Gebiet der Verwandtschaftsforschung und Nachfolgerin des grossen Claude L´evi-Strauss auf dem Lehrstuhl für Sozialanthropologie

University of ZurichZurich Open Repository and Archive

Winterthurerstr. 190

CH-8057 Zurich

http://www.zora.uzh.ch

Year: 2009

Das Dilemma der Anerkennung. Judith Butler über die Machtder Geschlechternormen

Caduff, C

Caduff, C. Das Dilemma der Anerkennung. Judith Butler über die Macht der Geschlechternormen. In: NeueZürcher Zeitung, 162, 16 July 2009, p.38.Postprint available at:http://www.zora.uzh.ch

Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich.http://www.zora.uzh.ch

Originally published at:Neue Zürcher Zeitung, 162, 16 July 2009, p.38.

Caduff, C. Das Dilemma der Anerkennung. Judith Butler über die Macht der Geschlechternormen. In: NeueZürcher Zeitung, 162, 16 July 2009, p.38.Postprint available at:http://www.zora.uzh.ch

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Originally published at:Neue Zürcher Zeitung, 162, 16 July 2009, p.38.

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nzz 16.07.09 Nr. 162 Seite 38 fe Teil 01

Das Dilemma der AnerkennungJudith Butler über die Macht der Geschlechternormen

Es war eine höchst kontroverse Debatte, die auchdann nicht abbrechen sollte, als das französischeParlament es gleichgeschlechtlichen Paaren er-laubte, eheähnliche Lebensgemeinschaften zu bil-den. Der sogenannte «Pacte civil de solidarite»,wie er von der Assemblee nationale nach end-loser Beratung im November 1999 verabschiedetwurde – vergleichbare Regelungen gab es damalsschon in skandinavischen Ländern –, wird nichtauf dem Standesamt, sondern vor dem Amts-gericht geschlossen. Er steht im Prinzip allen Paa-ren offen, die eine staatliche Anerkennung ihrerBeziehung wünschen. Die neue Rechtsform – eshandelt sich um eine Art Vertrag – regelt insbe-sondere steuerliche und sozialrechtliche Fragen,wobei die Adoption von Kindern ausdrücklichausgeschlossen bleibt.

Sozialanthropologische ArgumenteIn die Debatte um den «zivilen Solidaritätspakt»schalteten sich damals auch prominente Vertreterder französischen Sozialanthropologie ein, die ins-besondere zur umstrittenen Frage der Adoptionvon Kindern durch gleichgeschlechtliche PaareStellung nahmen. Francoise Heritier, eine Autori-tät auf dem Gebiet der Verwandtschaftsforschungund Nachfolgerin des grossen Claude Levi-Straussauf dem Lehrstuhl für Sozialanthropologie amCollege de France, machte aus ihrer Ablehnungder neuen Rechtsform kein Hehl. Wie die Wissen-schafterin mit grosser Inbrunst verkündete, standhier mehr auf dem Spiel, als man gemeinhin ver-muten könnte. In ihren zahlreichen öffentlichenStellungnahmen erläuterte Heritier, dass der Un-terschied zwischen dem Männlichen und demWeiblichen eine elementare Differenz der symbo-lischen Ordnung darstelle. Gemäss Heritier standdaher nicht bloss ein zivilrechtlicher Vertrag, son-dern die symbolische Ordnung der Gesellschaftselbst zur Debatte. Eine allfällige Zulassung derAdoption von Kindern durch gleichgeschlecht-liche Paare empfand sie als eine Bedrohung, wel-che die Bedingungen der Möglichkeit von Kulturfundamental in Frage stelle.

Französische Intellektuelle, die mit dem ana-lytischen Besteck ihrer vermeintlichen Gewährs-männer Claude Levi-Strauss und Jacques Lacanhantierten, verteidigten den kühnen Vorstoss insGrundsätzliche. In einer Sammlung ihrer jüngs-ten Essays, veröffentlicht unter dem Titel «DieMacht der Geschlechternormen», setzt sich nundie renommierte amerikanische Philosophin Ju-dith Butler mit der Kontroverse auseinander.

Wie die Autorin, die vor bald zwei Jahrzehn-ten mit ihrer Studie «Gender Trouble» (deutsch:«Das Unbehagen der Geschlechter») bekanntgeworden ist, scharfzüngig bemerkt, sei es höchs-te Zeit, den strukturalistischen Kulturbegriff kri-tisch zu überdenken, wenn sich zeigen sollte, dasser der Reaktion unverhofft Vorschub leistet. FürButler ist kritisches Denken freilich immer miteinem gewissen Risiko verbunden; dem Risikonämlich, beruhigende Gewissheiten zu erschüt-tern, ohne eindeutige Antworten auf drängendeFragen unmittelbar liefern zu können. Gerade inBezug auf das Begehren nach staatlicher An-erkennung gleichgeschlechtlicher Lebensge-meinschaften – das sich inzwischen in vielen Län-dern bemerkbar gemacht hat – wird dies beson-ders deutlich.

Wie Butler betont, hat auch diese Medailleihre zwei Seiten. Einerseits sei es politisch dring-

lich, auf der staatlichen Anerkennung gleich-geschlechtlicher Partnerschaften zu bestehen.Andererseits sei es genauso wichtig, die Normenzu hinterfragen, die darüber bestimmen, was derAnerkennung würdig ist und was nicht. Wie dieAutorin zu bedenken gibt, fordert die Legitima-tion durch den Staat ihren Tribut, nämlich auf dieBedingungen der Legitimität einzugehen, die an-geboten werden. Der französische Solidaritäts-pakt – und nicht nur er – hält hierfür prägnantesAnschauungsmaterial bereit. Der Preis für dieAnerkennung ist der Verzicht auf die Möglichkeitder Adoption.

Nüchterner LeitfadenIn ihrem Buch, das den heterogenen Charaktereiner Sammlung von Essays nicht zu verbergenvermag, wagt Butler einen weiteren Schritt aufdem Weg der Kritik. Sie nimmt eine bekannteDenkfigur Michel Foucaults auf und bemerkt mitaller wünschenswerten Deutlichkeit, dass die«Sphäre der legitimen intimen Verbindung (. . .)dadurch etabliert (wird), dass Bereiche der Illegi-timität produziert und intensiviert werden». Dasscheinbar progressive Projekt des «zivilen Solida-ritätspaktes» könnte sich also auch als eine Hürdeerweisen, die es in Zukunft bedeutend schwierigermachen wird, Spielarten der Sexualität jenseits desengen Korsetts von Ehe, Familie, Verwandtschaft– und eben auch jenseits des neuen «Pakts» – zuerkunden.

Hier zeichnet sich nun der nüchterne Leit-faden ab, der Butlers kritisches Denken die Rich-tung weist. Die Kritik der Geschlechternormen,so die Autorin, müsse von der Frage geleitet sein,was die Hoffnung, ein lebenswertes Leben führenzu können, maximiert und was die Gefahr, ein un-erträgliches Leben ertragen zu müssen, mini-miert. Wie das kritische Denken selbst zu einemlebenswerten Leben beiträgt, sagt uns Butlerzwar nicht, aber sie zeigt es uns – immer wieder.

Carlo Caduff

Judith Butler: Die Macht der Geschlechternormen und dieGrenzen des Menschlichen. Aus dem Amerikanischen von KarinWördemann und Martin Stempfhuber. Suhrkamp, Frankfurt amMain 2009. 414 S., Fr. 42.90.


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